Ach, du liebe Stadt!

Wie gern ich dich habe! Es ist eine Freude, in dir zu leben, und nur manchmal zum Verzweifeln, und ich werde dich nie verlassen, solang ich kann!

Wohnen in der Innenstadt ist zu 20 Prozent Rücksichtnahme und zu 80 Prozent freundliches Ignorieren, das weiß ich und bekomme es auch meist mühelos hin; du bist im großen und ganzen von freundlichen, friedliebenden Menschen bewohnt. Ich verzichte auf Platz, auf Garten und Blick ins Grüne, auf Ruhe und Abgeschiedenheit. Dafür bekomme ich: einen herrlichen Wochenmarkt (von der Vielfalt können Supermärkte nur träumen), Theater, Kinos, Museen, Buchläden, was zu gucken, öffentlichen Raum – und das alles in Gehweite. Auch wenn’s nicht immer leise ist, habe ich meine Ruhe (lies: hier ist es anonym). Und wenn’s mir doch mal reicht, gibt es Busse und Bahnen hinaus.

Nun wirst du ziemlich schnell immer teurer. Das sagen alle, die her- oder auch nur umziehen möchten. Neulich habe ich mir eines deiner neuen Viertel angeschaut: Reiche-Leute-Wohnungen, mit dicken Autos auf neu angelegten Parkflächen, und nix los. In meiner Straße hingegen gab es vor ein paar Jahren noch in jedem dritten Haus ein Ladengeschäft. Bäcker, Lebensmittelladen und Kiosk haben inzwischen geschlossen. (Mir könnte das wurscht sein, aber mit dem Rollator ist eine Straße weiter leicht zu weit.) Eine Ladenbetreiberin erzählte, daß sie sich die Monatsmiete nicht mehr leisten könne – aber ihre Vermieterin könne ihr nicht entgegenkommen, sonst gäb’s Ärger mit dem Finanzamt. Leerstand hingegen lasse sich steuerlich geltend machen … Liebe Stadt, das kann nicht dein Ernst sein, oder?

Ach, und erinnerst du dich an das große Fest, bei dem du (vielleicht nicht ganz freiwillig) fast zwei Wochen autofrei warst? Das hätte ich gern wieder, und dauerhaft. So viel Platz, Stille, so wenig Streß! Mach doch mal das Parken teuer. Also richtig, richtig teuer; teurer als ein ÖPNV-Tagesticket. Und wenn dann endlich die Autos raus sind, dann pflanz Bäume in die Straßen, reiß die Innenstadtparkhäuser ab und bau erschwingliche Wohnungen. Und sorg für Einkaufsmöglichkeiten in jedem Viertel.

Schon klar, Stadt. Das schaffst du nicht allein, ist auch nicht alles deine Baustelle. Aber irgendwer muß mal anfangen, oder? Es geht ja nicht darum, sofort und gleich alle frommen Wünsche zu erfüllen, sondern lebenswert zu bleiben, für viele verschiedene Menschen.

Öffentliche Ärgernisse

Ein Mensch braucht aufrecht einen Quadratmeter Platz, im Liegen vielleicht zwei. Hat er ein Auto, kommen noch mal drei bis vier Quadratemeter Erdoberfläche hinzu, die er dauerhaft belegt; im Fahren deutlich mehr als im Stehen, aber im Stehen besonders auffallend. Treten Sie in einer beliebigen Stadt auf die Straße, schauen Sie, wie viele Autos fahren und wie viele stehen (oder, Rush Hour, eine Kombination aus beidem), und dann kehren Sie die mal alle gedanklich auf einen Haufen – wäre so viel Platz nicht herrlich?

Ich wohne in der Innenstadt und bin heilfroh, daß ich kein Auto habe. Die Bilanz ist eindeutig: kein eigenes Auto bedeutet für mich mehr Zeit, mehr Geld, weniger Sorgen.

Die Idee, den öffentlichen Nahverkehr in Städten kostenlos zu machen, finde ich erst mal erstaunlich. Wäre für mich persönlich ganz nett; damit käme ich noch billiger vom Fleck. Aber mir geht es nicht darum, etwas geschenkt zu bekommen. Das allein kann’s nicht sein, da müßte noch deutlich mehr passieren. Dichtere Taktung der Busse, zum Beispiel. Kraftstoff für Autos müßte realistisch viel kosten, Parken deutlich mehr. Endlich Tempolimits (die Diskussion in Deutschland darüber ist keinen Deut besser als die der Amerikaner über Schußwaffen). Was im Spiegel angedacht wurde: kostenloser Nahverkehr vor allem auf dem Lande, wo es tatsächlich ohne Auto oft nicht geht. Damit das nicht so bleibt: Bessere Durchmischung der Ortschaften und Viertel mit Geschäften, Dienstleistern, Versorgern: das gab’s alles mal. (Dazu müßte man auch über Miet- und Immobilienpreise in den Städten reden.) Bessere Infrastruktur für Fahrräder und Fußgänger.

Klar, ich bin privilegiert. Ich habe alles in der Nähe, ich bin gesund und mobil. Ich laufe gern. Aber wenn ich (vor allem von älteren Leuten und von Autohäusern) nahegelegt bekomme, doch langsam wieder ein Auto zu kaufen, man müsse doch eines haben; wenn ich angestaunt werde, weil ich einen Weg von eineinhalb Kilometern zu Fuß zurücklege (und zurück auch noch!); wenn ich mich rechtfertigen muß, weil ich angeblich mit dem Auto auf Segnungen der Zivilisation verzichte, dann weiß ich nicht so recht. Status, Gewohnheit und Bequemlichkeit? Dafür muß ich mir nicht den Lebensraum zustänkern und vollstellen.

Ich wäre sehr, sehr froh, wenn sich statt Aktionismus wirklich etwas täte. Auch wenn’s erst mal wehtut. Die Frage ist: was muß man tun, um das Auto überflüssig zu machen? Status, Gewohnheit, Bequemlichkeit: naja! Und die Bedingungen, daß mehr Menschen ohne Auto auskommen können, müssen politisch geschaffen werden. Über die Legislaturperiode hinaus.

Kürzlich belauschte ich ein Gespräch im Bus; zwei ältere Frauen sprachen über “diese jungen Ingenieure”. Die hätten ja zum großen Teil gar keinen Führerschein mehr, wunderte sich eine, und wollten den auch gar nicht machen; das hätte es früher nicht gegeben. Drei Kreuze, dachte ich; es besteht wieder Hoffnung.

 

 

 

Probleme mit Prinzipien

So, dann bin ich jetzt wohl auch noch schuld, daß der Einzelhandel in den Städten stirbt. Oder?

Nach bald zwanzig Jahren wird mein Gerätezoo merklich alt. Der Sprudelwirker wirkt nicht mehr zuverlässig, der Rohrwalker rostet an den Kanten; doch nun zerbröselte der Rautenscherber, und ohne Rautenscherber geht es nun mal nicht. Ein neuer mußte her, und schnell.

In meiner Straße firmiert Geräte Bürsting, im Schaufenster glänzende Rohrwalker, Hebeställchen in verschiedenen Ausstattungen, sogar bunt lackierte Pumporgeln. Natürlich gab es hier einen Rautenscherber. Sehr schick, mit allem Schnickschnack. Die Steilschrauben schrappten ein wenig, die Rahmenhöhe war nicht optimal, aber die Technik: fortschrittlicher als beim alten. Ganz billig isser nicht, aber dafür wird er Ihnen auch geliefert und fachgerecht angeschlossen, versprach Herr Bürsting. Und das Altgerät nehmen wir gleich mit.

Ein paar Tage später …

Die steinerne Stadt

Es geht um eine Grünanlage und einige große Bäume mitten in der Stadt. Die Anlage besteht aus paar Blümchen, paar Bänken, bißchen Kunst. Im Spätsommer dürfen die Bürger hier Gemüse ernten; junge Familien treffen sich zum Picknick, und eigentlich immer sitzen Leute auf den Bänken in der Sonne oder sommers im Platanenschatten. Kurz: dieser Platz lebt.

Nun soll die Grünanlage weg, und von den Bäumen auch ein paar. Das Museum braucht Platz – hier ist die “Vorhaltefläche” für seine Erweiterung. Als kürzlich die Siegerbeiträge des ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs in der Zeitung waren, flammte Empörung auf: Massen von Leserbriefen, Bürgerinitiativen gegen den Neubau, und die Kassenfrau in Museum muß sich Beschimpfungen anhören, weil der Platz so “verschandelt” werden solle.

Also bietet das Museum Führungen an, um die Entwürfe der Architekten vorzustellen und zu erläutern. Die Veranstaltungen sind voll. Die Reaktionen reichen von “ach, doch gar nicht so übel” bis zu “kann man da nicht einfach was schönes Altes hinbauen?”, woran man sieht, daß die Architektur arm dran ist, weil alle dazu eine Meinung haben. Jedenfalls ist es eins, gerasterte Bildchen in der Zeitung zu sehen, und etwas ganz anderes, das Prinzip eines Entwurfes begreifen zu können – das hilft gegen Empörung.

So weit, so gut. Da sagt der Architekturprofessor, der die Führung leitet, nebenbei: die Bäume hier seien sowieso nicht historisch, gerade an diesem Platz sei die Stadt jahrhundertelang eine steinerne Stadt gewesen; und ich denke: Plätze ohne den Schutz von Bäumen sind oft zugig und unwirtlich und im Sommer schlicht unerträglich. Da hält man’s nur unter den Schirmen der Gastronomie aus, und nix ist mit stundenlang konsumfrei im Schatten sitzen und Leute gucken. Mögen die Bäume ahistorisch sein – früher war auch nicht alles besser.

Nun warte ich gespannt, wie es weitergeht mit dem Neubau. Ich habe einen Favoriten unter den Entwürfen und wünsche mir natürlich, daß der eine Chance hat. Was mit der Grünanlage passiert, ist schlicht und ergreifend noch nicht entschieden. (Ich hoffe aber sehr, daß zumindest Bäume und Bänke bleiben.)

Und Schnee

Jedes Jahr der erste des Lebens.
Nicht Niederschlag, sondern Segen. Alle Augen strahlen, in den Schultern kribbeln schon Ballschlachtpläne, und auf Wangen und Lippen: lauter leichte, nadelspitze Küsse.
Ist es nicht stiller geworden? Da haben wir Besuch aus dem Himmel. Schaut, wie es glitzert, der weiche Teppich auf dem Asphalt, und alle Autodächer sind schön.
Morgen dann die Tritte der Tauben auf dem Bürgersteig, bis das Streusalz sie unleserlich macht. Übermorgen haben wir uns gewöhnt und ziehen gegen die Kälte die Schultern hoch. Und noch später: alles Matsch.
Doch heute herrscht Zauber. Der letzte ganz echte im Jahr.
 
 
 
 
 
 

Trauriges Viertel

Leere Läden, die Fenster verstaubt: Zu vermieten. Provisionsfrei.
Hier war mal ein hübsches, helles Café, da gibt es jetzt Versicherungen. Die Bäckerei hatte erst die Backstube und nun auch den Laden geschlossen. Der Käseladen, der Weinhändler konnten sich nicht halten. Ein Rechtsanwalt hat das liebevoll restaurierte Geschäft der Goldschmiedin blickdicht umbauen lassen. Friseure, Friseure, Friseure und Handy-Reparaturen. Kein Metzger mehr; nichts für den täglichen Bedarf.
Im letzten Lebensmittelladen …

Geschmacksfragen

Auf dem Wochenmarkt, am Stand des Biometzgers.
  Wieso ist denn bei Ihnen die Fleischwurst so grau?
  Wir nehmen keine Nitritpökelsalze.
  Wie, Fleischwurst ohne Salz?!
  Ohne Nitritpökelsalz. Das macht die Fleischwurst rosa.
  Also Salz ist da schon dran?
  Ja, Salz ist dran, Meersalz.
  Meersalz? Das hat meine Schwägerin auch, und bei der schmeckt’s mir immer nicht.
(Ohne Fleischwurst ab.)