Richtfest

Das Haus ist ein hausförmiges Gerüst aus Holz, ganz roh sieht es aus in seiner Folienverpackung gegen das Wetter. Das wird heute wohl halten. Auf dem First ist ein Bäumchen befestigt, bunte Papierbänder flattern. Daneben die beiden Zimmermänner in ihrer schwarzen Zunftkleidung mit verwegenen Hüten, die Hemdsärmel schneeweiß und gebauscht. Unten stehen die Gäste und schauen.

Ein Reim, ein Wein, zwei zerspringende Gläser; dann steigen die beiden Männer vom Dach. Jetzt müssen die Bauherrinnen ran: zwei rohe Baumstämme stützen den Bau, die sollen fallen. Ob das Haus auch steht. Hier, die Axt.

Die junge Frau ist in Übung noch vom Winterholz. Sie packt das Beil beidhändig, holt aus und schlägt methodisch eine Kerbe um den Stamm, Schwung um Schwung aus der Hüfte. Späne fliegen, Kinder werden eingeholt. Die Umstehenden feuern an. Auf halbem Weg löst ihre Gefährtin sie ab, auch sie versiert mit dem Werkzeug. Das Publikum raunt; man ist froh, Publikum bleiben zu dürfen. Das sieht mühsam aus.

Nach einigen Minuten ändert sich der Klang der Axt im Holz; gleich, gleich ist er durch, der Stamm. Alle weichen einen Schritt zurück, da — ein dumpfes Splittern, und der untere Teil des Stützpfahls wird zur Seite geschleudert. Jubel. Rohbau: wankt nicht.

Den zweiten Pfahl auch noch zu zerschlagen, weigern die beiden Frauen sich. Alles ruft nach den Zimmerleuten. Der, der den Anfang macht, ist schmal, fast zierlich; unter seinem runden Hut blitzt eine Nickelbrille. Er nimmt die Axt, wie andere einen Pinsel nähmen, die Hand in der Mitte des Stiels, und ohne auch nur den Körpermittelpunkt zu verlagern, bringt er dem Stamm tiefe Kerben bei, ganz beiläufig, während er mit dem Kollegen scherzt. Kein Dutzend Schläge, dann ist der andere dran.

Der, buschig-bärig, nimmt zum Fällen den riesigen Hut nicht ab, macht keinen der acht Knöpfe seiner Weste auf. Er setzt präzise die Schneide ins Holz, alle Kraft in den Schlag, keine vergeudet; er steht da, leicht vornübergeneigt, als betrachte er ruhig etwas, und dabei verliert der Stamm das Stämmige, bekommt eine Sollbruchstelle, schon — allgemeines Ah und Oh — knickt er, und das Haus steht frei.

Jemand hat inzwischen den Grill beschickt. Die Hausherrinnen strahlen und schenken Trinkbares aus; Kinder und Hunde laufen durcheinander. Im Getriebe des Festes stehen die zwei jungen Zimmerer in ihren Elsternfarben; immer wieder streifen sie Blicke, weniger wegen ihrer Kluft als wegen des gelassenen Stolzes, von dem sie leuchten.

Gelernt ist gelernt.

 

 

 

Heidelberg, du feine

Einmal muß es ja sein: Ich besuche Heidelberg, denn Millionen Touristen können nicht irren, oder. Mein Herz für Sonntagsausflüge jedenfalls schlägt höher: Alte Brücke, Schloß mit allem, was darinnen ist, Seilbahn über Molkenkur bis Königstuhl, kurz: neue Ufer am Neckar. Und das am ersten frühlingshaften Tag.

Links vom berühmten Brückenaffen.
Links vom berühmten Brückenaffen.

Heidelberg hat eine Hauptstraße, autofrei und, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, voller Läden, die es überall gibt. Hier reisen sie busladungsweise an, um an den Brennpunkten Weine, Kuckucksuhren, Bierkrüge, Würstchen in allen Sprachen der Welt zu kaufen. Ich biege wohlweislich ab. Es ist zwar noch zu früh für Reisebusse, aber zu sehen gibt es abseits mehr: als hätte sich die eigentliche Stadt in die schmalen Sträßchen verzogen mit Plattenläden, Eisenwaren, Buchdruck, Blechnerei, und die Hauptstraße den Ketten und Kaufhäusern überlassen.

Mit einem Schwung …

Kurzstrecke

Es ist keine gewöhnliche Wanderung mit Herrn G.: nur wenige Kilometer, immer in der Stadt, und außerdem gehen ein paar tausend andere Leute mit (wie viele, darüber wird später die Polizei schwankende Auskünfte geben). Aber was soll man machen, meint Herr G.; was muß, das muß. Dafür haben wir leichtes Gepäck und kaum Proviant dabei und, darauf legt Herr G. wert, kein Transparent, keine Fahnen. Wir sind Masse, aber wir tragen unsere eigenen Farben.

Je näher wir dem Sammelpunkt kommen, desto mehr Menschen strömen uns entgegen: Die sind schon losgegangen, schließen wir uns an! Herr G. beißt die Zähne zusammen. In Nullkommanichts sind wir ausgebremst, verlangsamen unser Schritt- zu Schneckentempo, bewegen uns in eine Richtung mit vielen, sehr vielen anderen. Nicht im Gleichschritt, das ist wichtig.

Parteien, Organisationen, Bündnisse in Rot, Grün, Schwarz, Orange und Pink schieben sich über die mehrspurige Straße; junge Leute, sogar Kinder tragen selbstgebastelte Plakate vor sich her: Kein TTIP! Kein CETA! Kein TISA! Oder auch: Freihandel ja, Knebelverträge nein!, oder: Wo bleibt das Grundgesetz?

Grau- und Weißköpfe mischen sich mit allen anderen Haarfarben, wir sehen Rentner in Beige, Pfadfinder mit Halstuch, Studenten mit Ordnern unterm Arm, geübte Alt-Demonstranten mit Megaphon. (Bei der Gelegenheit entdecken Herr G. und ich, daß unsere Mitbrüllschwelle etwa gleich hoch ist, nämlich so gut wie unüberwindlich.) Wie Stielaugen: Kameras und Telefone, hoch über die Köpfe gehoben.

Wir bewegen uns am Rand des Zuges, abseits vom größten Lärm. Ein Mann mit einer rosa Penis-Trillerpfeife pfeift, aber es will nicht recht trillern. Andere skandieren Reime auf: Hopp-hopp-hopp …, ganz schön schlicht, aber vernehmlich. Eine Frau in bunten Kleidern hüpft und kreischt Unverständliches; sie bekommt besänftigenden Applaus. Von den Reden über Lautsprecher dringt zu mir nur Tonfall: Anklage, Forderung; ich vermute allerdings sowieso, daß ich von zehn Befragten zwölf Antworten bekäme, wieso genau sie hier sind. Ist jetzt auch erst mal egal – es geht ums Sichtbarsein. Auf die Straße gehen, um zu sagen: Nein. Nicht so. Das haben wir nicht gewählt.

Das langsame Tempo auf Asphalt, der Lärm, die Menge Mensch, das alles ist anstrengender als viele Kilometer Wald und Feld. Nach wenigen Stunden sind wir erledigt. Herr G. und ich verschwinden in einer Seitenstraße Richtung Bahnhof. Sie werden uns wohl mitgezählt haben, sagt er. Ob das was bringt?, frage ich mich und ihn. Man kann’s nur hoffen.

Ein paar Tage später schweigen wir am Telefon; was soll man auch dazu sagen. Herr G. sagt dann doch etwas, nämlich: wie so eine weitreichende Entscheidung mißbraucht wird, um parteiinterne Macht zu zementieren. Ob er die Strapaze bedauert? Nein, natürlich nicht. Einfach so hinnehmen, wie hätte sich das denn angefühlt?

 

Die steinerne Stadt

Es geht um eine Grünanlage und einige große Bäume mitten in der Stadt. Die Anlage besteht aus paar Blümchen, paar Bänken, bißchen Kunst. Im Spätsommer dürfen die Bürger hier Gemüse ernten; junge Familien treffen sich zum Picknick, und eigentlich immer sitzen Leute auf den Bänken in der Sonne oder sommers im Platanenschatten. Kurz: dieser Platz lebt.

Nun soll die Grünanlage weg, und von den Bäumen auch ein paar. Das Museum braucht Platz – hier ist die “Vorhaltefläche” für seine Erweiterung. Als kürzlich die Siegerbeiträge des ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs in der Zeitung waren, flammte Empörung auf: Massen von Leserbriefen, Bürgerinitiativen gegen den Neubau, und die Kassenfrau in Museum muß sich Beschimpfungen anhören, weil der Platz so “verschandelt” werden solle.

Also bietet das Museum Führungen an, um die Entwürfe der Architekten vorzustellen und zu erläutern. Die Veranstaltungen sind voll. Die Reaktionen reichen von “ach, doch gar nicht so übel” bis zu “kann man da nicht einfach was schönes Altes hinbauen?”, woran man sieht, daß die Architektur arm dran ist, weil alle dazu eine Meinung haben. Jedenfalls ist es eins, gerasterte Bildchen in der Zeitung zu sehen, und etwas ganz anderes, das Prinzip eines Entwurfes begreifen zu können – das hilft gegen Empörung.

So weit, so gut. Da sagt der Architekturprofessor, der die Führung leitet, nebenbei: die Bäume hier seien sowieso nicht historisch, gerade an diesem Platz sei die Stadt jahrhundertelang eine steinerne Stadt gewesen; und ich denke: Plätze ohne den Schutz von Bäumen sind oft zugig und unwirtlich und im Sommer schlicht unerträglich. Da hält man’s nur unter den Schirmen der Gastronomie aus, und nix ist mit stundenlang konsumfrei im Schatten sitzen und Leute gucken. Mögen die Bäume ahistorisch sein – früher war auch nicht alles besser.

Nun warte ich gespannt, wie es weitergeht mit dem Neubau. Ich habe einen Favoriten unter den Entwürfen und wünsche mir natürlich, daß der eine Chance hat. Was mit der Grünanlage passiert, ist schlicht und ergreifend noch nicht entschieden. (Ich hoffe aber sehr, daß zumindest Bäume und Bänke bleiben.)

Vermessen

Auweia: Ich hatte noch nie einen passenden Badeanzug. Einen, der nirgends geschlabbert oder gekniffen, der sich nicht an den falschen Stellen gerafft oder gebeult hätte. Noch niemals in meinem Leben.
Und dann lernte ich eine Schneiderin und Designerin kennen, die tatsächlich und ausgerechnet Badeanzüge macht. Vor allem Unterwäsche, und Kleider, ja, aber … Badeanzüge! Wink des Schicksals. Und Gelegenheit beim Schopfe: jetzt, endlich, nach so vielen Jahren –!
Erster Schritt: Maßnehmen …

Katastrophentourismus

Hochhaussprengung? Fehlt mir noch. Also auf nach Frankfurt, wo das Uni-Hochhaus mit seinen 116 Metern ordentlich Staub aufwirbeln sollte.
Falls irgendwer in der Stadt nicht weiß, wo das Hochhaus fallen soll: einfach treiben lassen. Alles, was Beine hat, ist auf dem Weg zur Gefahrenzone. Ein Stimmengewirr in den Straßen: Der Bau (ein 70er-Jahre-Vertreter des Brutalismus) ist Gesprächsthema, die guten Zeiten an der Uni, die besten Sichtachsen und der leichte Nebel, der die höheren Häuser obenrum unscharf macht.
Einen der besseren Plätze erkennt man daran, daß hier …

Im Autohaus

Das Auto leuchtet warn, in Gelb und Rot. Was sein muß, muß sein — also gestartet, ein Glück, das geht noch, und in aller Vorsicht zu einem Autohaus gefahren, dessen Firmenschild mit dem Symbol am Kühlergrill übereinstimmt.
Drinnen ist weiß gefliest (nicht daß hier Gedanken an ölverschmierte Lappen aufkommen). Es riecht nach neuem Auto. Gleich am Eingang gibt es einen Tresen und dahinter geschult lächelndes Personal.
Was kann ich für Sie tun?, lächelt ein fast noch jugendlicher Anzugträger.
Ich habe einen Termin …

Es singt und lacht

Verschwommene Vorstellung: schicke Uniformen!
Schicke Uniformen in verschwommener Vorstellung.

Daß es am Rhein fünf Jahreszeiten gibt, weiß man, auch wenn man sich aus sowas normalerweise raushält. Und dann ist da eine Karte übrig, und die sind hochbegehrt!, und willst du nicht mit, einmal muß man das gesehen haben, und schwups: Fastnachtssitzung.
Ich mittendrin.
Unter geschätzt tausend Matrosen, Rockstars, Obst (in verschiedenen Farben und Reifegraden), Cowboys, Römern, Zofen, Vampiren, mit bestem Blick zur Bühne. Zur Einstimmung gibt es Fastnachtsschlager, so flach, daß man sich die Knie aufschürft, aber alle kennen sie, und plötzlich bin ich links und rechts am Ellenbogen gepackt und werde mitgeschunkelt. Nicht schunkeln ist keine Option, maximal eben: schunkeln lassen. Schnell, ein Glas Riesling!
Bißchen Gottesdienst ist es schon …