Siegwandern

Mal was Neues, schlägt Herr G. vor: Westerwald, Natursteig Sieg? Für frische Flüsse bin ich zu haben, und so brechen wir im Morgengrauen auf, Eitorf bis Herchen, 21 Kilometer und ein Kurcafé zum Schluß.

Wetter: durchwachsen; Strecke: schön.

Die Luft ist so naß, daß sie gerade so nicht als Regen zählt; Schirme sind zwecklos. Es riecht nach Herbst, und überall liegen Pilze, als hätte sie einer ausgerissen und umgedreht. Ich kenne sie nicht, aber Herr G. weiß Namen: Hexenröhrling, Hundsrute, Hexenei, Pantherpilz. Den allerschönsten Pilz zeigt er mir an einem geschnitzten Stumpf, ein gelblich glänzender Baumpilz, der duftet wie Orange und Honig. Leider ein reiner Ansichtspilz.

Der Wald öffnet sich immer wieder zu Ausblicken auf die nächsten und ferneren Hügelketten. Kulturlandschaft ist, was wir als schön empfinden; sanfter Wechsel zwischen Forst und Feldern. Kühe, wie sie englische Landschaftsmaler als Akzente in ihre Bilder setzten, rupfen vernehmlich Gras; zweimal sehen wir zwischen den Kühen einen Reiher, der Reißaus nimmt, sowie er sich beobachtet fühlt.

Der Weg kreuzt und quert …

Alles Gute kommt von oben

Drei bis fünf Walnußbäume beschatten das Haus. Jetzt ist Herbst, da poltern Nüsse aufs Dach, rollen über die Ziegel und landen mit einem klatschenden Geräusch, wenn ihnen die grüne Schale zerbirst, auf dem Boden. Fürs Einsammeln gibt es einen Drahtkäfig am Stiel, der die Nüsse aufnimmt und den Rest zurückläßt, ein geniales Gerät. Am Gartenrand stehen drei Körbe, da kommen die Nüsse hinein.

Wenn sie noch nicht aus ihrer Schale gesprungen sind: behutsam drauftreten, dann lösen sie sich. Die hohlen rollen anders weg als die, die naß und schwer einen süßen Kern versprechen. Ich kann nicht anders, ich muß nach unten schauen: hier liegt eine Nuß, da, da noch eine, und dort sehe ich auch was. Wie ein Eichhörnchen, so stelle ich mir vor, eile ich von Fund zu Fund, in Zickzackhopsern, stopfe mir (da! noch eine!) die Backentaschen voll, also den Sammelkäfig (hier gleich zwei!), und entferne mich weit und weiter vom Baum, vom Haus, vom Gartenrand. Als ich aufschaue, bin ich nur ein paar Meter weit gekommen.

Ausfallschritt, und weiter: hier eine! Da! Da, ein ganzes Nest! Willst du nicht mal Pause machen, fragt K., Garten-, Nußbaum- und Aufklaubvorrichtungsbesitzerin. Jaja, gleich, die da noch, da liegt noch eine, da, und da … Und hier erst, zwischen den Büschen! Mein Blick ist an den Boden genagelt. Das Aufhören ist das Schwierige, da hat K. sehr recht.

Irgendwann, die Wiese scheint leergelesen (oder ich schaffe es, wegzuschauen), die Körbe quellen über und meine Finger sind walnußschalenbraun, beschließe ich: das war’s jetzt, es reicht. Ich wende mich eben zum Gehen, da greift der Wind in die Baumkronen, ringsum plumpst, prasselt und kracht es, Nüsse rollen und springen, und die Wiese sieht genauso aus wie vorher. Lachend packe ich den Aufsammler. Nächste Runde.

Darf ich vorstellen: Sisyphos, ein glücklicher Mensch.

 

Segeln!

Im Folgenden kommt Werbung, schamlose Werbung. Aber keiner, der drauf reinfällt, wird mir nachher vorwerfen können, ich hätte die Unwahrheit gesagt oder irgendwas verschwiegen.

 

Sie haben zwei Beine, zwei Arme, einen Kopf vor allem und eine etwas robustere Vorstellung von Freizeitgestaltung? Dann machen Sie doch mal eine Ostseereise auf einem Großsegler! Die Clipper-No-Comfort-Tours sind wahre Wundertüten, Wetter und Crew lassen sich ja nicht vorausbestimmen. Sie sollten Freude an großen Maschinen mitbringen, denn nichts anderes ist so ein Schiff; Fremdsprachenkenntnisse (Fiert den Besan! Bullen los! Halse!) ergeben sich mit der Zeit von alleine.

Sie werden Teil …

Pfannkuchen

Ei, Milch, Mehl und Butter nach Gefühl; in der Pfanne blasig gestockt und goldbraun ausgebacken. Solang er noch knistert, auf den Teller. Um den herum stehen die Sommer vergangener Jahre, löffelstarrend: die Marmeladen von L.

Holunderblüte mit märkischem Streuobstwiesenapfelsaft: allein die Holunderblüte ist mir ein Vergnügen; dazu denk ich mir knorrige Bäume an einem Hang, unter brandenburgischem Himmel mit Schwalben darin, und solang man nur nach oben schaut, ist die Welt in Ordnung.

Schwarze Johannisbeere. Mit dem Löffelrücken ausgestrichen, bleibt sie doch schwarz; beim Zusammenrollen schon steigt der Duft nach süßer Erde auf. Wie im Garten der Großmutter, dieser Erinnerungswildnis voller Kirschen und Beeren. Im Kirschbaum lernte ich, daß die hübschen, runden Marienkäfer Raubtiere sind, und im Johannisbeerbusch, daß es sich lohnt, vorsichtig zu kauen, um die Kerne herum. Das hat sich bis heute nicht geändert: so köstlich.

Dann aber! Gold auf der Gabel, beinah scharf, und schon schmeckt’s süß nach Ferne: bittere Orange aus Sevilla! Über den Butterglanz reisen schmale Schalenboote, und beißt man auf eins, ist das Sonnenauf- und -untergang in einem. Nur nicht schlingen! Wie alles Kostbare ist es schnell vorbei: zwei Stück, und der Löffel klappert im leeren Marmeladenglas.

Ein Fest, eine Freude, eine kleine Seligkeit! Die Amsel im Hof stimmt das Große Pfannkuchenlied an, als wüßte sie genau, wovon ich rede.

 

 

 

Vorfrühlingsfreude

Er sieht noch ganz wie Winter aus, aber er duftet schon nach Pferdemist und Waldmeister. Die Wege sind weich, die Schuhe schwer, und doch hat jeder Schritt Flügel. Wo noch nichts wächst, treiben die Vogelgesänge Blüten. Oh, und wie warm die Sonne scheint! Hinter geschlossenen Lidern ist gleich alles grün. Eine Woche noch, wenn’s hoch kommt, zwei, und dann.
Dann!

Marienkapellchen; Dach überm Kopf, Drache im Baum.
Marienkapellchen: Dach überm Kopf, Drache im Baum, Sonne im Gezweig.

Und Schnee

Jedes Jahr der erste des Lebens.
Nicht Niederschlag, sondern Segen. Alle Augen strahlen, in den Schultern kribbeln schon Ballschlachtpläne, und auf Wangen und Lippen: lauter leichte, nadelspitze Küsse.
Ist es nicht stiller geworden? Da haben wir Besuch aus dem Himmel. Schaut, wie es glitzert, der weiche Teppich auf dem Asphalt, und alle Autodächer sind schön.
Morgen dann die Tritte der Tauben auf dem Bürgersteig, bis das Streusalz sie unleserlich macht. Übermorgen haben wir uns gewöhnt und ziehen gegen die Kälte die Schultern hoch. Und noch später: alles Matsch.
Doch heute herrscht Zauber. Der letzte ganz echte im Jahr.
 
 
 
 
 
 

Götterfunken

Die Skulptur aus Aluminiumröhren zeichnet eine weit schwingende Bewegung mehrere Meter in die Höhe, ein gefrorener Tanz. Passanten bemerken sie, oft genug mit Wohlgefallen.
Heute, an einem verhangenen Spätsommertag, fliegt heller Jubel über den Platz: Daaa! Ein kleines Mädchen stürmt zu dem Kunstwerk hin, erklimmt blitzschnell den Sockel und beginnt, die Konstruktion zu umhüpfen, ohne sie zu berühren, Blick nach oben, und ruft: Ssön!, an den Himmel, an die Welt, an Mutter und Geschwister und alle zufälligen Zuschauer gerichtet: Ssön!, Ssön!, und das ganze Kind leuchtet.
Hätte der Künstler das erlebt, es hätte ihm ein Sonntag sein müssen.
 
Beitrag zum Projekt *.txt (10: Glück). Kein neuer würde besser passen.
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Postkarte vom Großen Belt

Schwesterschiff: S.S. Amphitrite.
Die schöne Schwester: S.S. Amphitrite.

Der Wind ist kein braves Arbeitstier; launisch ist er und schwer zu berechnen. Aber gibt man ihm etwas zum Spielen, etwas Schönes: Laub, Flügel, Rotorblätter, Fahnen oder eben Segel, so läßt er sich herbei und wirft sich ins Zeug. Bis ihm wieder langweilig wird und er sich dreht oder legt, reißt er das tonnenschwere hölzerne Schiff mit sich und beschert uns gute Fahrt …