Fernblick

Nicht ganz das Dach der Welt ...
Nicht ganz das Dach der Welt …

Hier ist Rheinhessen. So häßlich, klagte mir mal ein Zugezogener aus einer anerkannt schönen Ecke der Welt. Und spektakulär ist es hier wirklich nicht. Nicht die Helden der Sagen oder die Drachen sind hier zuhaus, sondern der Spielmann. Keine Naturwunder, keine Landschaft, die den Atem raubt; das größte Menschgebaute hier sind Autobahnen und Windanlagen. Die Luft teilt man sich mit den Flugzeugen vom Flughafen Rhein-Main.

Dieser Fleck der Erdschale ist gerunzelt und zerschliffen zu Hügeln und Hügeln; dausend Hiwwel, sagen die Einheimischen. Auch dieser Hügel ist nicht hoch, einer von vielen, aber wer ihn durch die Weingärten ersteigt, steht über allem, direkt unterm Himmel, sieht Wolkenzug und Sonnenbahn und unterschiedliches Wetter in verschiedenen Richtungen, müßte nur die Hand ausstrecken und könnte ein Sträußchen Windräder pflücken.

 

(Kleiner Gruß an Frau Amsel, die schon hier oben, und an Herrn G., der ganz da hinten war.)

Einfache Freuden

Reifendes Getreide.
Reifendes Getreide.

Unterwegs sind es dann gar nicht die rasanten Panoramen, die üppigen Tableaus, die Sehenswürdigkeiten, die mich dazu bewegen, die Kamera hervorzukramen. Eine Linie zwischen Land und Himmel ist es meist, gar keine lange. Die Farbe des Landes und dessen, was übers Jahr darauf wächst; der Himmel voller Wetter. Die Geborgenheit im Kreis des Horizonts und all seine Versprechen.
Immer wieder versuche ich dieses Bild zu machen. Es ist wohl das, was in seiner Schlichtheit am ehesten zeigt, was für mich Heimat ist.

Trulli

Wo Rheinhessen am schönsten ist, heißt es »rheinhessische Schweiz«. Auch hier sind die Hügel alles andere als alpin; der Toskana-Vergleich leuchtet schon eher ein.

In der Gemarkung von Flonheim-Uffhofen können Wanderer am Wegesrand lernen, wie die Weinsorten schmecken. Beschriftete Reben tragen Trauben aller Farben. Will man wirklich alle kosten, braucht das etwa so viel Zeit wie das Zusammenbrauen eines Wetters.

Wenn nun ringsum kein Fetzchen Blau mehr zu sehen ist und Regenschleier schon den Taunus verhüllen, leuchtet weiß die Rettung auf der Hügelkrone: ein runder Bau mit wenig mehr Öffnungen als dem Eingang und, darauf kommt es jetzt an, mit kegelförmigem Dach. Drinnen gibt es nichts als eine Rundbank, Platz für knapp ein Dutzend Leute.

Trullo 1756 bei Flonheim, Rheinhessen

Das ist der Trullo »1756« von Flonheim. Seit Menschengedenken wurden solche Bauwerke in Apulien errichtet, von der einfachen Schutzhütte bis hin zum kompletten Wohnhaus mörtellos aus Feldsteinen geschichtet. Ihre dicken Mauern halten Wind und Regen und die ärgste Hitze ab. Apulische Wanderarbeiter bauten sie vor zwei- bis dreihundert Jahren überall, wo sie Unterstand brauchten. Auch in Rheinhessen.

Dort wurden die »Wingertsheisje« in den letzten Jahren wiederentdeckt, liebevoll hergerichtet und teilweise für Besucher geöffnet. Man geht wohl sogar so weit, nagelneue Trulli in die Wingerte zu stellen …

Die Flonheimer jedenfalls sind stolz auf ihr Wahrzeichen. Nicht nur Besucher werden hierher geführt zu Wingertsrundgängen mit Weinprobe – auch die Einheimischen kommen, um zu picknicken, zu feiern, Heiratsanträge zu machen. Kein Flonheimer Hochzeitsfoto ohne Trullo. Tische und Bänke stehen draußen, die Aussicht ist großartig. Und wenn es regnet, verzieht man sich in das urtümliche Häuschen, rückt zusammen und kommt, so im Kreis sitzend, schnell ins Gespräch.

Man sieht dem Flonheimer Trullo an, daß er geliebt wird. Ein wunderbarer Ort, allemal einen Spaziergang wert.