Vom Stolz des Fremdenführens

Die Kur wohnt am Stein, genauer gesagt: in Bad Münster am ~. Da hat sie vor ein paar hundert Jahren ein Plätzchen gefunden und sich gemütlich eingerichtet. Es gab Glanz- und Blütezeiten, der Ort hat sich komplett um die Kur arrangiert und ihr ein schönes Haus samt Park an der Nahe gebaut; dann wurden die Zeiten knauseriger, Besucher- und Geldströme wurden schmale Rinnsale, aber die Kur ist immer geblieben.

Hierher habe ich, wie alle Kinder aus der Gegend, meine ersten Schulausflüge gemacht und mir nie weiter was dabei gedacht. Heute, selbst im Kurgastalter, bin ich als Touristin hier mit SoSo und Irgendlink, besser geht es eigentlich nicht, denn Irgendlink ist auch ein Kind aus der Gegend, und SoSo war hier noch nie.

Orte der Kindheit aufzusuchen, ist eine ganz besondere Gymnastik. Man geht zugleich durch den Ort und durch das eigene Fotoalbum davon – die Bilder, die man bewahrt hat, stimmen oft genug nur mit Klimmzug und Spagat mit dem überein, was man vor sich sieht. Umso schöner, wenn da einer ist zum “Weißt du noch?” und “Gab es da nicht mal?” und “War das immer schon so?”. Aber das Sahnehäubchen: Einer Ortsfremden, für derlei Zauber empfänglich, die mit ganz frischen Augen in die Gegend schaut, beim Schauen zuzugucken und sie tatsächlich beeindruckt zu sehen, das macht Freude, die kaum größer wäre, könnte man sagen: “Toll, nicht? Hab ich alles selbst gemacht!”

Zu bestaunen gibt’s jedenfalls genug: Reste von Bäderarchitektur, überraschende Landschaften so eng beisammen, wie man das sonst eher von Inseln kennt, Sonntagsvergnügungen tief aus dem vergangenen Jahrhundert – und eben die Kur: Nimmt man auf einer der Bänke im schattigen Kurpark Platz, setzt sie sich höflich dazu und verwischt, was man eigentlich noch alles vorhatte; man vergißt, daß es Uhren und Kalender gibt, das Treiben um einen herum wird ein freundliches Bild zum Betrachten, Gedanken kommen und flattern davon wie hübsche Singvögel, und ein Stündchen oder zwei sind in Schönheit vergangen. (Und wer jetzt noch ein bißchen sitzen bleibt, findet nie mehr heim –)

Ausblick auf Felder und viel Himmel
Toll, nicht? Hab ich alles selbst gemacht!

Reisehinweise für Bad Münster am Stein:
* Wenn möglich, mit dem Zug kommen und ordentliche Schuhe tragen.
Der Ort ist winzig, jedes Auto macht ihn voller, und die schönsten Ecken erreicht man nur zu Fuß.
* Sitzkissen mitbringen.
So malerisch die Bänke stehen, so unbarmherzig sind sie zu den Knochen.
* Badesachen einstecken.
Man weiß ja nie.
* Dem Fährmann eine Postkarte abkaufen. (Mache ich nächstes Mal.)
Es sind seine eigenen Bilder! Eis am Stiel gibt es auch bei ihm, und Mini-Stadtführungen in den paar Minuten, die es fürs Übersetzen braucht.

Böhmische Kirchen

Es gibt eine ganze Stadt anzugucken, große Sache im Mittelalter, Innenstadt Welterbe; aber darüber hängen dichte Wolken. Die Nacht regnet es durch; morgens, auf der Zugfahrt, rinnt es die Scheiben herab, und am Bahnsteig in Kutná Hora steht das Wasser in Pfützen.

Unter aufgespannten Schirmen wandern wir in Richtung Zentrum: erst tropft es, dann prasselt, schließlich schüttet es auf das schnell durchweichte Dach; von allen Seiten sprüht es, und wehe, ein Auto fährt vorbei. Also: Kirchen gucken (Stücker drei). Und irgendwann, wirklich und unbedingt, wiederkommen für den Rest.

Kutná Hora, etwa eine Stunde von Prag entfernt.

Pohlednice z Prahy

Prag, Mutter aller Städte, die Vielfotografierte: im Sommer ist sie tatsächlich golden. Kein hochglanzpoliertes, sondern ein altes Stück, schnörkelig, schadhaft, gewiß nicht leicht zu reinigen. Von den Hügeln aus wirkt Prag, als habe man die Glanzstücke aus allen Stadtbildern zu einem zusammengeschoben, so daß das Auge kaum weiß, wohin. Auch im Kleinen keine Ruhe: jede Fassade grüßt mit Figuren und Fratzen, man will durch die Straßen und Gassen wandern mit dem Kopf im Nacken und bloß keinen Giebel verpassen; man würde wohl von Hunderten, ja, Tausenden vorangeschoben, mitgerissen an den Sehenswürdigkeiten vorbei.

Postkartenhimmel, natürlich.

Die Moldau, breit fließt sie hier, gesäumt von Steinpracht und kühlen Parks, schenkt Ruhe, wenn man die Anmache der Vergnügungsschiffsmatrosen ignoriert und den wirbelnden Strom von Touristen in den Uferanlagen.

Versteckt mitten im Gewühl gibt es Orte, an denen man mehr Tschechisch hört als Englisch. Parks mit tiefen Bänken für Schachspieler, Innenhöfe voller schlafender Tische und Stühle, Museen, Passagen. Und überall Gedenkplaketten: Mahnmale für ermordete Ketzer, Juden, Nonkonforme, Intellektuelle, Kämpfer für Demokratie und Freiheit. Gerade wieder gegenwärtig ist der Einmarsch sowjetischer Streitkräfte, die den Prager Frühling vor fünfzig Jahren blutig beendeten.

Heute wird der Stadt eine andere Art Gewalt zugefügt: Nicht zu übersehen ist die Touristenflut, die zwar Geld bringt, den Altstadtbewohnern aber ein normales Leben unmöglich macht. Unsichtbar sind die Investoren, die den ohnehin kostbaren Wohnraum ins Unglaubliche verteuern. Wer in der Prager Innenstadt wohnt, verkauft keine Brötchen, hat keinen Handwerksbetrieb, steuert keine Tram. Nicht einmal Akademiker können sich das leisten. Aber wer bewohnt, wer belebt dann das Herz dieser Stadt? Oder genügt sie als Kulisse?

 

 

 

Bergluft

Gewissermaßen sammle ich Seilbahnen. Der kindliche Teil meines Gemüts sorgt dafür, daß ich, wenn ich eine Seilbahn sehe, irgendwann auch drinsitze. Seilbahnen sind mir sympathisch; sie sind ein harmloses Vergnügen, machen keinen Lärm und kommen dem Fliegen recht nahe. (Notfalls nehme ich auch Zahnradbahnen, Dampfzüge oder Kettenkarussells.)

Statt Bergsteigen.

Nun also: die Seilbahn in Boppard, lange schon vom Boden aus bewundert. Nix mit Kabine, das hier ist ein Sessellift, und zwar seit 1954, als Boppard fand, man könne auch alpin. Erfrischend untechnisch kriegt man ein Papp-Abreißticket, steht freihändig an und wird dann von einem der freundlichen Mitarbeiter auf einen farbigen Punkt am Boden gelotst. Dann schiebt sich hinterrücks ein Holzsitz unter den Hintern, man bekommt noch einen Sicherheitsriegel vorgelegt, und solcherart aufgesammelt, wird man mit Schwung aus der Talstation befördert. Die Reise dauert eine erfreulich lange Weile und ist so geruhsam, so still und ohne was drumrum, wie man sich das nur wünschen kann.

Über einem gezackten Felsrücken schwebt man 232 Meter in die Höhe. Linkerhand faltet sich der Hunsrück in die Ferne, rechts mäandert der Rhein; gegenüber sieht man Filsen liegen, einen der Weinorte, die sich zu Zeiten der Reblaus auf Kirschanbau spezialisiert haben (auch einen Besuch wert). Weil es noch früh ist im Jahr, sehe ich kaum Grün, an sonnigen Stellen Veilchen und Schlüsselblumen und Singvögel im nackten Gezweig. Unten windet sich ein Felsenpfad, darauf klettern Ausflügler wie die Ameisen.

Die Bergstation ist liebevoll-österlich geschmückt; hier wird man sorgsam von den Mitarbeitern aus dem Sessel befreit und aus der Schußlinie geleitet. Ein Stückchen noch in den Wald hinein, und man hat die Wahl zwischen zwei Ausflugsgaststätten. Ich nehme die mit Aussicht auf “die größte Rheinschleife der Welt”, und da hält die Werbung tatsächlich genau, was sie verspricht. Einen Kaffee später muß ich auch schon wieder runter – der letzte Sessel geht um fünf.

 

Für Freunde des Ausflugs-wie-früher: Sesselbahn Boppard

 

 

 

 

Wahres, Falsches und Kopiertes

In Mainz ist einer meiner liebsten Anlaufpunkte das Dom- und Diözesanmuseum. Die aktuelle Ausstellung über Fragwürdiges aus dem Fundus ist wieder mal eine Freude, eine wunderschöne, wohlkonzipierte Angelegenheit, und bis Mitte April kann man sie noch besuchen.

Fünfzehn Exponate aus den Kellern des Museums wurden hier zusammengetragen; an jedem hängt ein Schild: Gemälde von dem-und-dem Maler aus dem-und-dem Jahr, oder: Kopie einer Schnitzerei aus dem-und-dem Jahrhundert; oder da stehen zwei Dinge, ein Original, eine Nachbildung. Dann darf man als Betrachterin überlegen: Stimmt das Schild? Welcher Kelch ist denn nun die Kopie? Ist das Gemälde echt?

Man schaut. Noch etwas genauer. Man kramt im Wissen über Kunst, Geschichte, Kunstgeschichte; man betrachtet Rückseiten und Oberflächen, überprüft Details, manchmal rät man einfach. Aber jeder Blick offenbart Wunder. Bilder sind nicht mehr nur, was sie darstellen; sie werden Untergrund, Firnis, Rahmung. Man achtet plötzlich auf Retuschen, Spuren von Lagerung, man fragt sich: wie kommt denn so was? So wird Kunst mehr als nur das Ding, das da hängt oder steht oder liegt – sie wird Materie, und sie bekommt eine Geschichte.

Stimmt nun also das Schild mit der Beschriftung oder nicht? Die Lösung kann man nachlesen: drei, vier Abschnitte über das Kunstwerk, über Hinweise auf Echtheit/Nachbildung, über die Menschen, die damit zu tun hatten, und manchmal die erstaunlichsten Geschichten. Dazu Vergleichsobjekte und -bilder (einziger Kritikpunkt: nicht immer in guter Auflösung), Materialproben … So viele Fragen beantwortet, von denen ich gar nicht wußte, daß ich sie hatte! Für mich ein völlig neuer Blick auf Kirchenkunst – ich war entzückt, werde aber jetzt nichts weiter verraten, falls da noch wer hin möchte.
Lohnt sich!

Mainzer Dom- und Diözesanmuseum
“Mit Kennerblick und Adlerauge”
noch bis 15.4.2018
Eintritt 5 € unermäßigt

(Und nicht daß jetzt jemand denkt, es gäbe einfache Antworten – die gibt es auch in dieser Ausstellung nicht. Darum habe ich sie um so lieber.)

 

Schiefer und Kalk

Bad Frankenhausen in Thüringen ist heute ein beschauliches Kurstädtchen. Renaissance und Barock, ein bißchen Fachwerk und viel 19. Jahrhundert machen den Stadtkern hübsch und ansehnlich. Des weiteren hat Bad Frankenhausen einen Kirchturm, ein Panorama und einen Wanderweg. (Natürlich hat der Ort mehr. Aber das war, was ich gesehen habe.)

Der Kirchturm, so wirbt die Stadt, sei “schiefer als der Turm von Pisa”. Die Kirche selbst ist längst Ruine, aber um den Turm haben sich die Bürger sehr gekümmert und viel Geld gesammelt, daß er ihnen nicht komplett umfällt. Auf den ersten Blick dachte ich: naja, schief ja, aber doch sooo schief nicht. Auf den zweiten Blick dann: uiuiuiui … Dieser Turm ist geneigt, in sich verzwirbelt und so gekippt, daß es dem Gedächtnis unplausibel scheint; deswegen erschrickt man jedes Mal, wenn man wieder hinschaut.

bfh-kirchturm bfh-kirchturm2

Von der Kirche führt ein Weg nach Norden hinaus aus der Stadt, hinauf auf den Schlachtberg. Der heißt nicht für nichts so: am 15.5.1525 endete hier eine der letzten großen Schlachten der Bauernkriege mit der elenden Niederlage der Aufständischen gegen die Söldnertruppen der Fürsten. Thomas Müntzer wurde gefangengenommen; er wurde – als geistiger und geistlicher Führer der Bauern – gefoltert und zwei Wochen später publikumswirksam hingerichtet. Die 8000 Aufständischen, die hier zumeist mit Sicheln und Sensen gegen die Landsknechte kämpften, wurden erbarmungslos erschlagen; der Weg hinauf auf den Berg heißt: Blutrinne. Ihn nehme ich aus dem Ort hinaus, zwischen Gärten hindurch in immer wilderes, karges Grasland.

Oben findet sich ein Monument aus DDR-Zeiten, geplant zum 450. Jahrestag der Schlacht von Frankenhausen: das Panorama-Museum, das Werner Tübkes gigantisches Rundgemälde beherbergt. Der Bau, die Scheibe einer ionischen Säule, ist ein faszinierender Fremdkörper in der Landschaft; von der Terrasse aus ist der Ausblick übers Land herrlich.

Das Panorama-Museum auf dem Schlachtberg.

Drinnen muß man gesehen haben. Das gewaltige Gemälde umspannt den ganzen Raum; die Farben, die menschlichen und phantastischen Figuren scheinen viel älteren Bildern entsprungen und erzählen den Reigen von Vision, Widerstand und Gewalt nach, der sich in der menschlichen Geschichte immer wiederholt. Ob man sich nun erklären läßt, was da zu sehen ist, oder nicht – um alles auch nur anzusehen, müßte man Stunden hier verbringen.

So viel Zeit habe ich nicht. Ich nehme den Lutherweg wieder in die Stadt hinunter, einen Wanderweg, tief in die Flanke des Bergs gegraben. Irgendwo muß ich vom Weg abgekommen sein; ich finde mich in einer Spalte wieder, eingezwängt zwischen grasigen Hängen. Der nackte Fels knirscht kristallin bei jedem Tritt und schimmert im Sonnenlicht, nicht einmal die Kiefern fassen hier Wurzel – ich bin froh um meine tüchtigen Schuhe. Jetzt, bei Tag, ist das hier wildromantisch. Nachts muß es zum Fürchten sein.

Später sehe ich: ich bin ins “Wüste Kalktal” geraten, durch das Thomas Müntzer vom Schlachtfeld geflohen sein soll, ehe er dann unten in der Stadt gefaßt wurde.

(Bad Frankenberg hat natürlich mehr. Was allerdings fehlt, ist ein Bahnhof; wer die Sadt besuchen will, muß andere Wege finden.)

 

Hier Gedanken zu Tübkes Gemälde und einige Bildeindrücke.

 

 

Rundumgeburtstag (beim SWR)

Der Herr Irgendlink war im Fernseh? Ja, aber nicht zum letzten Mal: kommenden Sonntag um 18:45 Uhr kann man den Kunstradfahrer im SWR sehen, wie er in “Einig Land” einen ganzen Strauß Staunen und Wundern zusammenhält.

Was Sache war, haben die anderen schon erzählt, deshalb (und weil ich den Schluß verpaßt habe) von mir nur kurz:

So ein Landesgeburtstag klingt nach einer drögen Angelegenheit, aber der Auftakt zu den sieben Jubiläumsfilmen verspricht alles andere als Langeweile. Dutzende schöner, skurriler, erfreulicher Geschichten werden gezeigt, die neugierig machen auf dieses doch arg heterogene Provisorium “Rheinland-Pfalz”, das sich in siebzig Jahren unzweifelhaft zu einer Heimat gemausert hat.

Und wenn man einen Protagonisten kennt, guckt man so etwas gleich noch lieber. Also, dringende Empfehlung!

Vom richtigen Umgang mit Nachrichten

Die Nachrichten jagen einander und bereiten derzeit mehr als üblich Schmerzen, und lieber heute als morgen zöge ich ganz hinter den Mond. Doch Rettung kommt aus Helsinki: das finnische Radio Yle bringt Nachrichten auf Lateinisch, zum Hören und zum Nachlesen im Netz.

Der Latinist Tuomo Pekkanen und sein Kollege Reijo Pitkäranta vollbringen das kleine Wunder, aktuelles Weltgeschehen in lateinische Vier-Minuten-Beiträge zu verwandeln, die einmal pro Woche wunderschönst und mit schnarrendem Akzent verlesen werden. Das Alter der Sprache merkt man den Nachrichten nicht an; die Redakteure schaffen es, auch unhandliche Modernitäten plausibel zu übersetzen.

Es klingt beruhigend, man versteht angenehm wenig, und selbst wenn es heißt: Trump Obamam accusat, kann man sich vorstellen, man säße in der Schulbank, gleich wird es klingeln, und man darf hinaus, in die Sonne.

Wärmste Empfehlung: Nuntii Latini vom finnischen Radiosender Yle.

 

 

 

Segeln!

Im Folgenden kommt Werbung, schamlose Werbung. Aber keiner, der drauf reinfällt, wird mir nachher vorwerfen können, ich hätte die Unwahrheit gesagt oder irgendwas verschwiegen.

 

Sie haben zwei Beine, zwei Arme, einen Kopf vor allem und eine etwas robustere Vorstellung von Freizeitgestaltung? Dann machen Sie doch mal eine Ostseereise auf einem Großsegler! Die Clipper-No-Comfort-Tours sind wahre Wundertüten, Wetter und Crew lassen sich ja nicht vorausbestimmen. Sie sollten Freude an großen Maschinen mitbringen, denn nichts anderes ist so ein Schiff; Fremdsprachenkenntnisse (Fiert den Besan! Bullen los! Halse!) ergeben sich mit der Zeit von alleine.

Sie werden Teil …