Kurz vor Himmel

Zwei Gestalten als Schatten auf dem Weg
Morgenlicht am Ortsrand.

Die Nacht hat uns frische Beine geschenkt, die können wir brauchen – gleich hinter Saulheim geht es hinauf in die Weinberge.

Grün gegen grün gekämmte Parzellen, hier und da ein Nußbaum darin, ein halb versunkenes Wingertshäuschen oder ein lärmender Vollernter, der eine Rebreihe nach der anderen zwischen die Schenkel nimmt und die Perkel von den Trauben schlotzt – die Stengel bleiben als Gerippe hängen. Ein ganzer Schwarm Arbeiter wird ersetzt durch eine brüllende Maschine. Sehr ordentlich sind sie nicht; wir finden genug Hängengebliebenes, um uns sattzuessen. (Trotzdem mögen wir sie nicht. Die Rebreihen werden weiter gesetzt ihretwegen. Wir haben beide als Kinder in der Traubenlese geholfen – voll Stolz die Schere! –; und Frau Amsel kannte einen, der ist von so einem Vollernter erschlagen worden.) Hin und wieder blitzen kleine Starenschwärme auf; wir hingegen werden von den automatischen Schießanlagen erschreckt, die in zufälliger Frequenz donnern, um die Vögel aus den Trauben zu verscheuchen.

Weinberge, Weinberge, Weinberge.
Hat hier jemand Agrarwüste gesagt?

Bei Vendersheim trödeln wir ein wenig beim Aussichtsturm herum. Der ist geschlossen, aber es gibt Nußbäume, eine Quitte, in Probierreben hängen überreife, zuckersüße Trauben und direkt an den Rastbänken ein Wahlplakat der CDU. Das Land vor uns breitet sich wie die Meeresbucht, die es mal war; der Himmel liegt wie Wasser darin, und als es wärmer wird, sehen wir obendrauf Wolken keimen, wachsen, mächtig werden und auf die Reise gehen. Der Tag leuchtet hagebuttenrot in den Rosenbüschen zwischen den Weingärten. Unser Ziel können wir beinah schon sehen.

Weiße Wolken über Weinbergen
Wolken schwimmen über uns.

Frau Amsel und ich haben beide biographischen Bezug zu Rheinhessen – eine ererbt, eine geschenkt –; für sie war es immer das gelobte Land, für mich Durchreisegebiet. So, im Schneckentempo und mit Häuschen auf dem Rücken, waren wir hier noch nie. Wir wissen gar nicht, wo wir hinschauen sollen und betrinken uns an Sonne und Schönheit. Wobei – ist das wirklich schön, oder ist das nur Daheim? Pulls on the heartstrings, jedenfalls, sagt Frau Amsel. Man möchte das alles malen, mitsamt Wein, Wolken, Staren, Windrädern, den freigiebigen Walnußbäumen und dem Speierling, der aussieht wie eine Birne, zu den Vogelbeeren zählt, großartig schmeckt und einem, wie Frau Amsels Großmutter gesagt hätte, das Hemd in den Hintern zieht.

Blick über Wißberg Richtung Nahetal
Heutiges Dach der Welt: der Wißberg.

Wir sind ordentlich gestiegen (für die Schweizerinnen im Publikum: keine 300 Meter). Um den Wißberg bin ich jahrelang herumgefahren; Frau Amsel kannte ihn auch nur aus der Ferne. Wie kann das sein? Er ist im Weg, da hätte man doch mal drüber gemußt? Wir haben, das ist nicht zu leugnen, was verpaßt. Nun stehen wir oben wie die Kaiserinnen und betrachten unser Reich.

Himmel, Hügel, im Hintergrund der Taunus.
Alles unsers!

Beim Abstieg nach Sprendlingen verfranzen wir uns, finden eine Schaukel mit Aussicht, jagen am Bach in Pfaffen-Schwabenheim Hühner, erfahren, daß es im Appelbach Aale gibt, und in Bosenheim lassen wir uns abholen, bevor es losgeht mit Kreuznachs Ausfallstraßen und Industriegebiet.

Wir sind noch mal 22 Kilometer gegangen. Wir waren gefühlte Wochen unterwegs, haben Sonne, Aussichten, Schönes und Erinnerungen für den ganzen Winter gesammelt. Und Pläne für die nächsten Ausflüge haben wir auch schon: noch mal, bitte!

Vom Stolz des Fremdenführens

Die Kur wohnt am Stein, genauer gesagt: in Bad Münster am ~. Da hat sie vor ein paar hundert Jahren ein Plätzchen gefunden und sich gemütlich eingerichtet. Es gab Glanz- und Blütezeiten, der Ort hat sich komplett um die Kur arrangiert und ihr ein schönes Haus samt Park an der Nahe gebaut; dann wurden die Zeiten knauseriger, Besucher- und Geldströme wurden schmale Rinnsale, aber die Kur ist immer geblieben.

Hierher habe ich, wie alle Kinder aus der Gegend, meine ersten Schulausflüge gemacht und mir nie weiter was dabei gedacht. Heute, selbst im Kurgastalter, bin ich als Touristin hier mit SoSo und Irgendlink, besser geht es eigentlich nicht, denn Irgendlink ist auch ein Kind aus der Gegend, und SoSo war hier noch nie.

Orte der Kindheit aufzusuchen, ist eine ganz besondere Gymnastik. Man geht zugleich durch den Ort und durch das eigene Fotoalbum davon – die Bilder, die man bewahrt hat, stimmen oft genug nur mit Klimmzug und Spagat mit dem überein, was man vor sich sieht. Umso schöner, wenn da einer ist zum “Weißt du noch?” und “Gab es da nicht mal?” und “War das immer schon so?”. Aber das Sahnehäubchen: Einer Ortsfremden, für derlei Zauber empfänglich, die mit ganz frischen Augen in die Gegend schaut, beim Schauen zuzugucken und sie tatsächlich beeindruckt zu sehen, das macht Freude, die kaum größer wäre, könnte man sagen: “Toll, nicht? Hab ich alles selbst gemacht!”

Zu bestaunen gibt’s jedenfalls genug: Reste von Bäderarchitektur, überraschende Landschaften so eng beisammen, wie man das sonst eher von Inseln kennt, Sonntagsvergnügungen tief aus dem vergangenen Jahrhundert – und eben die Kur: Nimmt man auf einer der Bänke im schattigen Kurpark Platz, setzt sie sich höflich dazu und verwischt, was man eigentlich noch alles vorhatte; man vergißt, daß es Uhren und Kalender gibt, das Treiben um einen herum wird ein freundliches Bild zum Betrachten, Gedanken kommen und flattern davon wie hübsche Singvögel, und ein Stündchen oder zwei sind in Schönheit vergangen. (Und wer jetzt noch ein bißchen sitzen bleibt, findet nie mehr heim –)

Ausblick auf Felder und viel Himmel
Toll, nicht? Hab ich alles selbst gemacht!

Reisehinweise für Bad Münster am Stein:
* Wenn möglich, mit dem Zug kommen und ordentliche Schuhe tragen.
Der Ort ist winzig, jedes Auto macht ihn voller, und die schönsten Ecken erreicht man nur zu Fuß.
* Sitzkissen mitbringen.
So malerisch die Bänke stehen, so unbarmherzig sind sie zu den Knochen.
* Badesachen einstecken.
Man weiß ja nie.
* Dem Fährmann eine Postkarte abkaufen. (Mache ich nächstes Mal.)
Es sind seine eigenen Bilder! Eis am Stiel gibt es auch bei ihm, und Mini-Stadtführungen in den paar Minuten, die es fürs Übersetzen braucht.

Hunsrücktrödeln mit Herrn G.

Städtchen im Morgenlicht.

In Oberwesel starten wir, das ist ein ummauertes Städtchen am Rhein mit einer Bäckerei am Marktplatz, deren Mitnehmkaffee ich in meine Blechtasse schütte; großer Pluspunkt. Wie schön Oberwesel ist, merkt man eigentlich erst, wenn man nicht recht hinausfindet und zwischen Häuschen, Hinterhöfchen und Gärtchen irgendeinen Schnörkelpfad nach oben nimmt; dann ist der Ort auch schon vorbei, und man schaut erstaunt über den Stadtgraben zurück auf die Dächer. Weiter geht’s, hinauf in die Felder.

Über die Felder gelangt man schnurstracks zu Fuß in die umliegenden Dörfer, ein gemächliches Stündchen mit Lerchen, Fotopausen und gelegentlichem In-den-Acker-Hechten, denn hier oben gibt es keine Fuß-, sondern nur Schleichwege. Ein Auto paßt gerade so darauf. – Wir erwischen ein Dorf mit Laden und Kindergarten. Im Laden ersteht Herr G. Sonnenmilch für unter 20 Euro (soviel hätte sie in der Apotheke in der Stadt gekostet) und wird dann von zwei Kindergartenkindern über den Zaun hinweg beim Einschmieren bestaunt. (Es sind dieser Tage wirklich nur zwei Kinder in der Hofpause, pandemiebedingt, erklärt uns die Erzieherin.)

Aussicht über Felder auf ein Stückchen Rhein.
Lerchenhöhen.

Und dann kommt Hunsrück. Herr G. und ich fallen in Wandertrab. Der Hunsrück ist vor allem Wald; in Touristik und Marketing: Räuberwald (hier hat der Schinderhannes Johannes Bückler sein Unwesen getrieben). Jeder Ort hat eine Schinderhannesschänke oder etwas in der Art; es gibt Schinderhanneshöhlen und einen Schinderhannesweg, einst Bahntrasse, jetzt steigungsarmer Fahrradweg. Wir queren die Autobahn, die sich dafür mit stundenlangem Dröhnen rächt, und einen Autohof mit Autobahnkapelle. Auf dem absurd weiten Parkplatz rastet ein Geschwader von Wohnmobilen in Eigenheimgröße; drumherum jagen sich Kinder.

Laubwald grün, Nadelwald kahl
Links Laub, rechts nadelt’s.

Immer wieder stehen wir vor freien Flächen, die mal Wald waren. Es wird aufgeforstet, mit südlicheren Hölzern, aber das wird Jahrzehnte dauern. Windkraftanlagen winken über die Hügelkronen hinweg. Der Flugverkehr ist nicht, was er mal war, und wäre es nicht schön, wenn das so bliebe? So blau ist der Himmel überm Hunsrück nämlich auch nicht immer.

Irgendwann erreichen wir Emmelshausen, von wo ein Bähnchen wieder runterfährt zum Rhein, und auf der Fahrt erleben wir dann doch noch eine Sensation (kein Bild): In einem Tunnel macht der Zug eine Vollbremsung, der Zugführer steigt fuchtelnd aus, und aus dem Fenster sehen wir etwas Ungestaltes vom Bahndamm hopsen, einen grauen Gnom die Böschung hoch flüchten und sich unter einen Farn kauern: ein Uhuküken ist das, halbmetergroß und noch flaumig, das starrt aus Bernsteinaugen beleidigt auf den Zug, wie er langsam wieder anrollt. Der Zugführer kriegt Applaus. Das, sagt er, war knapp.

Ich habe noch nie ein Uhuküken in freier Wildbahn gesehen. Jetzt mache ich mir eine Sorge mehr. (Zu Recht, bestätigt Herr G.: 70% der Uhus überleben nicht das erste Jahr.)

Elefanten, Labyrinthe, Kathedralen

Es gibt Dinge, da fragt man sich jedes Mal, wenn man sie macht, warum man sie eigentlich nicht viel öfter macht. Ein solches Ding sind Wanderungen mit SoSo und Irgendlink. Mit zwei Bild- und Wegemenschen gehen heißt, mit Adleraugen schauen und sich in Höflichkeit üben. Oh, da, ein Schild! Neinnein, mach erst du ein Bild, du hast es zuerst gesehen. Überhaupt sind diese Wege immer zweierlei: An- und Abstiege, Rasten und Fernblicke, aber eben auch: Augenweiden, neue Geschichten, andere Richtungen für die Gedanken.

öder Parkplatz
Dieser Platz ist Herrn L. Dietzel gewidmet.

Der Winter fällt dieses Jahr aus, auch in der Pfalz; also wird es keine Winterwanderung. (Schnee ist so selten geworden.) Der Weg heißt “Lebensweg”, startet und endet in Enkenbach-Alsenborn und bietet allerhand an seinen Rändern: Bänke und Aussichten, die Quelle der Alsenz (auch die fällt zur Zeit aus), eine napoleonische Schanze, die A63 (nervt), ein Meditationslabyrinth.

Wir starten in einem Neubaugebiet, aber es hat kaum Gelegenheit, mich zu deprimieren. Zum Lebensweg?, fragt eine Frau aus dem Autofenster. Der geht da vorne links die Treppe hoch.

Am Weg gibt es Stationen mit Gedichten. Eine heißt: Unfalltod; die liegt unter dem Rauschteppich der Autobahn. Eine andere bietet das Meditationslabyrinth: einen großen Kreis aus Rindenmulch mit roten Sandsteinkanten. Das gehen wir in unseren unterschiedlichen Geschwindigkeiten (aber doch eher flott, es ist windig). Von oben muß das hübsch aussehen. Hinaus nehmen wir die Direttissima; es gibt ja noch mehr zu sehen.

Den Ackerelefanten, zum Beispiel. Der steht auf einem Verkehrskreisel, ein grimmiges Tier, angeschirrt vor dem Pflug eines Bauern. Irgendlink kennt die Geschichte dazu: Zwischen den Kriegen hatten nicht nur die Dorfbewohner nichts zu essen, sondern auch die Tiere des hier überwinternden Zirkusses (statt Wirtschaftsflucht nach Übersee waren die findigen Alsenborner Artisten geworden, seit Generationen schon). Und weil alle Pferde requiriert worden waren und die Felder brach lagen, probierte man es zum Pflügen mit einem Elefanten – die Geschichte ging nicht gut aus, der Elefant riß aus und plünderte ein Rübenfeld; und am Ende ist er wohl doch verhungert, wie die anderen Zirkustiere auch. Aber man hatte es versucht.

Verkehrskreisel
Der berühmte Ackerelefant.

Zum Ende des Tages finden wir inmitten von Parkplätzen eine von den immensen Sandsteinkirchen dieser Gegend, ein feuchtes Ding aus Sandstein; ihre Schönheit ist unbeleuchtet womöglich noch gesteigert. Als wir aus dem dichter werdenden Dunkel hinauswollen, kommt uns eine alte Frau entgegen, gezogen von einem kleinen rosa Kind: das strebt magnetisiert auf die Krippe zu. Echte Attraktionen.

Auf der Rückreise denke ich ein bißchen über den (verborgenen) Nutzen von Kirchen nach und über die (sehr offensichtliche) Häßlichkeit von Parkplätzen; darüber, daß man, wenn man Deutschland sehen will, die kleinen Städte besuchen muß. Und daß man ein paar Dinge wirklich ganz dringend öfter machen sollte, nämlich Wanderungen mit SoSo und Irgendlink.

Europa in drei Zügen

Wer nicht fliegt, muß daheim bleiben? Nö. Wir haben das ausprobiert. Ich wollte Berge, Herr L. Meer. Sehenswürdigkeiten und gutes Essen, bißchen wärmer, man muß in acht Tagen was davon haben und eben ohne Flug hinkommen. Die Wahl fiel auf die Atlantikküste, genauer gesagt den Golf von Biskaya, also das nördlichste Spanien: Baskenland. Da muß das Gepäck leicht sein, All inclusive heißt nur: die Reise selbst ist Teil des Urlaubs.

Da schaut man gern aus dem Fenster.

Von ein paar Städten in Deutschland aus gehen Züge nach Paris, die die Strecke in absurd kurzer Zeit schaffen. Wir haben den riskantesten Teil der Reise, nämlich den nach Karlsruhe, vorsichtshalber etwas früher angetreten – bei der DB weiß man nie – und so noch in der Stadt frühstücken können. (In Karlsruhe liegt übrigens dem Bahnhof direkt gegenüber der Zoo; das muß auch irgendwann mal erkundet werden.)

Der ICE/TGV nach Paris braucht zweieinhalb Stunden. Das ist fast wie Fliegen – die Landschaft rast vorbei, man sieht bei 310 km/h nicht viel davon. Am Gare de l’Est geht es in die Metro, dann am Bahnhof Montparnasse in den nächsten Zug. Hat man großzügig geplant, ist vorher noch Zeit für ein Mittagessen in einer der Seitenstraßen.

TGV Paris–Bordeaux: Wieder nur zweieinhalb Stunden; hier lohnt es sich, aus dem Fenster zu schauen, denn nach Süden verändern sich Land, Licht und Vegetation geradezu spektakulär. In Bordeaux dann Stadtbummel, ausgezeichnetes Abendessen und die erste Übernachtung. Fürs Frühstück braucht man nicht viel Zeit, café, croissant, fertig, und wieder in den Zug nach Hendaye. Diesmal mit Weile. Um Bayonne herum Berge; kurz nach Biarritz erste Sichtung des Meeres.

Hendaye ist der französische Grenzort. Noch bis vor kurzem wurde auf der spanischen Seite Irún angefahren. Aus unerfindlichen Gründen ist das nicht mehr so; der TGV endet in Hendaye, und die letzten Meter über die Grenze muß man mit der Tram nehmen. Das macht nichts, denn die erreicht gegen Mittag direkt unser nächstes Ziel: Donostia (San Sebastián). Hier kann man es zwei Tage gut aushalten, das Essen ist großartig, der Atlantik eine Wucht. Wir gehen spazieren, gucken und kehren bei Hunger in einer der zahlreichen Bars ein, Pintxos essen; das ist die baskische Variante von Tapas, kleine Kunst auf Spießen.

Mit dem Bus geht es dann nach Bilbao. (In Spanien versorgen regelmäßige Buslinien das ganze Land. Fernverbindungen muß man im Voraus buchen.) Bilbao ist durch ein paar gute stadtplanerische Entscheidungen zu einem sehr attraktiven Ort geworden mit dem Gehry-Bau des Guggenheim-Museums als Aushängeschild. Wir finden die Markthalle (mit frischen Meeres-Pintxos), die beste Bäckerei, Museen, allerhand Kirchen und ein paar Vororte in Richtung Meer; das alles mit Bussen, der städtischen Tram und der U-Bahn, die für wenig Geld die halbe Provinz erschließen.

Die Abreise ist noch nicht Ende des Urlaubs. Mit dem Bus gelangen wir über die Grenze bis Hendaye, wo wir Bootchen gucken und später auf dem Hauptplatz ein sehr gutes Mittagsmenü finden; in Bordeaux wissen wir schon vom letzten Mal, was wir sehen und was wir essen möchten, und am letzten Tag bringt uns der schnelle Zug nach Norden, mit Umstieg und Mittagspause in Paris (am Gare de l’Est gibt es eine brauchbare Markthalle, aber das ist auch schon das Freundlichste, was man über diesen Bahnhof sagen kann).

Erholt kommen wir zuhause an.

Fazit:

Frühes Buchen lohnt sich, aber dennoch ist die Reise mit dem Zug teurer als die mit dem Flieger. Das liegt auch daran, daß die Zusammenarbeit der Deutschen Bahn mit anderen europäischen Bahngesellschaften schon mal besser war. (Wäre ein eigenes Kapitel.)

Dieses Reisen in Stationen macht mir Freude; ich sehe, wie sich die Landschaft ändert, und gewinne Eindrücke von unterwegs. Mit kleinem Gepäck, etwas Recherche und Sprachkenntnissen (danke, Herr L.!) sind alle Wege lohnende Expeditionen. Wir hatten unsere Unterkünfte immer im Herzen der Stadt, so daß wir auch kurze Aufenthalte auskosten konnten.

Der Urlaub war vom Abschließen der Haustür bis zur Heimkehr geruhsam, weil wir immer genügend Luft eingeplant hatten. Falls mal was schiefgeht (wir hatten Glück); und weil es sich nach einer guten Mahlzeit angenehmer reist. Die unausweichliche Genervtheit, die mich auf Flughäfen befällt, blieb mir erspart; weniger Warten, weniger Plastik, und keiner hat mein Gepäck durchwühlt. Ein angenehmes Gleiten vom Alltag in die Ferien und wieder zurück.

Und überhaupt: Kein Geld tauschen, keine Kontrollen; einfach losziehen. Bei allen Eigenheiten der Regionen doch immer klar in Europa und somit auch zuhause sein, das ist toll.

 

 

 

Böhmische Kirchen

Es gibt eine ganze Stadt anzugucken, große Sache im Mittelalter, Innenstadt Welterbe; aber darüber hängen dichte Wolken. Die Nacht regnet es durch; morgens, auf der Zugfahrt, rinnt es die Scheiben herab, und am Bahnsteig in Kutná Hora steht das Wasser in Pfützen.

Unter aufgespannten Schirmen wandern wir in Richtung Zentrum: erst tropft es, dann prasselt, schließlich schüttet es auf das schnell durchweichte Dach; von allen Seiten sprüht es, und wehe, ein Auto fährt vorbei. Also: Kirchen gucken (Stücker drei). Und irgendwann, wirklich und unbedingt, wiederkommen für den Rest.

Kutná Hora, etwa eine Stunde von Prag entfernt.

Lüftelberg mit Herrn G.

Herr G., hatte ich gesagt, ich weiß da was aus dem Internet, so katholisch, daß es schon wieder heidnisch ist, die Römer kommen auch drin vor, es soll scheußlich sein. Da müssen wir hin! – Und so stapfen wir an einem rauhreifigen Wintertag durch überraschend liebliches Gartenland. Hier haben Generationen Obst und Gemüse und Blumen auf kleinsten Parzellen angebaut, die heute noch verschachtelte Fachwerkdörfer umgeben. Raubvogelgebiet. Hier und da liegen Bäche frei.

Für mich ist die Gegend fremd. Man kann weit schauen im Flußtal und die Türme der großen Städte sehen, für die hier einmal das Gemüse gezogen worden ist. Die Hochebene ist topfeben, zerrissen nur von Kiesabbau, der uns zu seltsamen Umwegen zwingt, immer in Sicht des Ziels. Nordrheinwestfalen, behauptet Herr G., besteht aus Reiterhöfen. Irgendwo müssen ja die ganzen Pferde für die Landeswappen herkommen. Langsam glaube ich’s auch; eine Pferdekoppel grenzt an die nächste, an fast jedem Zaun hängt ein Bitte-nicht-füttern-Schild.

Es ist kalt, deshalb trödeln wir nicht. Es gibt ohnehin wenig zu sehen am Wegesrand; zwei, drei Wasserburgen, die aber längst auf dem Trockenen sitzen. Die römische Wasserleitung, die hier einmal verlaufen ist, ist nur noch Legende. In manchen Orten haben Vereine ihren Verlauf auf den Straßen markiert oder einen ausgegrabenen Abschnitt in die Ortsmitte gestellt und mit Blumen umpflanzt, aber wirklich übrig ist nichts.

In Lüftelberg schließlich finden wir erst einmal Überraschendes: die Statue eines Mannes in der Tracht eines chinesischen Mandarins. Das, lese ich später nach, ist Adam Schall von Bell, der 1618 als einer von einer Schar Jesuiten nach China aufbrach, um dort Gottes Wort und die westliche Astronomie zu verbreiten. Die Missionare hielten sich in der portugiesischen Kolonie Macau auf, als die Niederländer angriffen, setzten im Handumdrehen vier defekte Geschütze instand und schlugen die Angreifer in die Flucht; nicht zu spaßen mit den Jesuiten.

Die heilige Liuthildis hingegen ist kaum zu greifen. Mit ihrer Spindel soll sie Wunder gewirkt und sich dann im Turm ihrer Kirche einmauern lassen haben; Genaues weiß man nicht. Die Kirche ist romanisch, aber geschlossen; zur Grabplatte der Heiligen alles gesagt. Wenn ich nicht gewußt hätte, nach was ich suche, hätte ich sie nicht gefunden. Ich mache ein Foto, ehe wir gehen.

Draußen fällt mein Blick über die Steinmauer in einen Streuobstgarten. Dicke, schmutzige Schafe käuen dort unter den kahlen Bäumen wieder, und ich denke, die sind bestimmt letzte Woche allesamt ausgetauscht worden. Herr G. fragt, wieso ich lache. Schwierig zu erklären, wirklich.

Der Rest ist Industriegebiet. Die erstaunlichste Erscheinung daselbst ist ein durchdringender Ingwerduft, unerklärlich, bis ich sehe, daß in einem Verkehrskreisel eine Menge der Knollen plattgefahren auf der Fahrbahn liegt. Schnee gibt es erst ein paar Tage später; schade.

Im Meckenheimer Industriegebiet.