Einmal muß es ja sein: Ich besuche Heidelberg, denn Millionen Touristen können nicht irren, oder. Mein Herz für Sonntagsausflüge jedenfalls schlägt höher: Alte Brücke, Schloß mit allem, was darinnen ist, Seilbahn über Molkenkur bis Königstuhl, kurz: neue Ufer am Neckar. Und das am ersten frühlingshaften Tag.

Heidelberg hat eine Hauptstraße, autofrei und, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, voller Läden, die es überall gibt. Hier reisen sie busladungsweise an, um an den Brennpunkten Weine, Kuckucksuhren, Bierkrüge, Würstchen in allen Sprachen der Welt zu kaufen. Ich biege wohlweislich ab. Es ist zwar noch zu früh für Reisebusse, aber zu sehen gibt es abseits mehr: als hätte sich die eigentliche Stadt in die schmalen Sträßchen verzogen mit Plattenläden, Eisenwaren, Buchdruck, Blechnerei, und die Hauptstraße den Ketten und Kaufhäusern überlassen.
Mit einem Schwung Touristen aus Tschechien, Portugal, Japan und Amerika nehme ich die Bergbahn schräg nach oben und treibe mich dann auf dem Schloßhof herum. Wäre das hier Marburg, so zum Beispiel, wäre das: ordentlich was los. Hier macht nicht mal der Kaffeestand auf für die paar Leute. Ich bin froh, daß nicht Mai ist.
Das rote Schloß hingegen, ein endloses Gewirr von Mauern und Prunkfassaden, hinter denen nichts als Himmel liegt, rührt seltsam an. Als sei die prachtvolle Ruine genau dafür gebaut, bewohnt und zersprengt worden: schaut her, es ist doch alles eitel. Was ihr errichtet, und sei es noch so herrlich und widerstehe es den Zeiten noch so lang – viel länger liegt es dann in Trümmern. Selbst der gewaltige Pulverturm: geborsten wie ein Sandgebilde vom Tritt eines launischen Kindes; in seine Gewölbe scheint die Sonne.
Hübsche Zerstreuung bietet der alte Teil der Bergbahn, zwei schräge hölzerne Wagen wie die Gewichte an einer Standuhr: fährt der eine hinab, trägt es den anderen hinauf. In der Mitte teilt sich das Gleis für eine kurze Strecke, da können die Zugführer sich im Vorübergleiten Gegenstände reichen. Mit diesem Bähnchen, das knirscht wie eine alte Kommode, geht es ganz hinauf.
Oben ist dann oben. Königsstuhl: Fernblick über Neckar und Rhein und, endlich, Kaffee. Im Stationshäuschen kann man dem hundertjährigen Motor zuschauen, wie er, Rad hinter Rädchen hinter Rädern, das Drahtseil in Gang setzt und glänzend über die Schienen sausen läßt.
Zum Abschied geht es dann noch einmal an den Neckar, der die alte von der neueren Stadt trennt. Viele Städte gehen schlecht mit ihren Flüssen um; diese macht keine Ausnahme, zwängt ihn zwischen harte Uferkanten und Autostraßen. Heidelberg: so ganz verstanden hab ich’s nicht, doch muß ich das ja nicht; Besuch hat die Stadt genug.
Ja, der Neckar wird in Heidelberg nicht sehr gut behandelt, ein Promenade wäre ein Traum, aber ein enges Tal ist es halt nunmal. Heute packt mich bei Heidelberg die Nostalgie, aber als ich da gewohnt habe, wusste ich nie so recht, ob ich es jetzt mag oder nicht. Rückblickend hätte ich es mehr schätzen sollen ;-). Aber die vielen Touristen auf der Hauptstraße mochte ich definitiv damals und heute nicht.
Oh, eine Einwohnerin! (Ex-, aber immerhin!) .)
Ich bin bei diesen touristischen Trampelpfaden hin- und hergerissen. Einerseits ist sowas natürlich anstrengend; andererseits sorgen sie aber auch dafür, daß man ein paar Meter weiter unbehelligt leben kann. Mit den Premiumwanderwegen ist es auch so.
Ja, oben ist es 200m hinter der Bergbahnstation auch im Sommer wunderschön. Als Besucher ist es sicher eine gute Entscheidung im Februar hinzufahren. Ich bin alljährlich im November nochmal da …
Als wär ich dabei und sehe alles wieder. Mir waren auch die Gässchen lieber als die Straßen.
Feine Bilder zeigst du da, die aus Worten und die aus Pixels gleichermaßen.
So, jetzt fehlt mir nur noch Rothenburg ob der Tauber. Dann habe ich “Deutschland in sieben Tagen” absolviert, glaube ich.
Was hat dich denn in die Bahnstadt verschlagen?, die liegt doch ein wenig weit weg von Alt Heidelberg. Gutes Foto, auch vom Königsstuhl.
Danke! (Ich hatte noch Zeit, bis der Zug fuhr.)
Parallel zu der erwähnten, stets überfüllten Hauptstrasse, gibt es die Plöck. Und dort ist der Heidelberger Zuckerladen ansässig. Der originellste Süsswarenladen, den ich kenne…
Ich danke Ihnen für den Bericht und die Fotos.
Der Zuckerladen kommt auf die Liste fürs nächste Mal, klar. Dank!
Prädikat: absolut erlebenswert!
Etwas versteckt im Hinterhof liegt in der Hauptstraße 22 ein kleines Juwel, das Deutsche Verpackungsmuseum. Hier kann man unter fachkundiger Führung von Hubert Harmann (der es mit Herzblut macht!) in einer ehemaligen “Nothkirche” wundervoll nostalgische Warenverpackungen besehen – und eine Schokoladenverpackungsmaschine in Aktion erleben…Leider etwas exotische Öffnungszeiten, aber es lohnt sich allemal!
Ich hatte mir das schon ausgeguckt, aber es hatte leider zu. Dafür, und für die Sammlung Prinzhorn, werde ich wahrscheinlich wirklich noch mal reisen.
Die wollten hier ja mal die ganze Straße am Neckar in einen Tunnel verlegen und darüber eine Neckarpromenade legen. Wäre wahrscheinlich ein Megaprojekt wie der neue Stuttgarter Hauptbahnhof geworden.
So schrecklich finde ich die Neckareinzwängung nicht. Vom Philosophenweg aus sieht die Stadt immer wieder wunderschön aus. Und ein/zwei Kilometer flussaufwärts fängt das Neckartal an, richtig kurvig zu werden.
Danke für die Fotos. Wer hier wohnt, vergisst manchmal, wie schön es in Heidelberg ist.
Ah, noch ein Einheimischer! Ich kenne das, man gewöhnt sich sehr an die Gegend, in der man wohnt; an eine Touristengegend vermutlich, indem man ein-zwei Kilometer flußaufwärts spazieren geht. ,)
(Diese unterirdischen Straßen wurden schon in einigen Städten als Lösung angestrebt, aber umgesetzt? Vor allem an Flüssen scheint das, naja, gewagt.)
Da die Tochter in Heidelberg studierte und dort lebte, fühlte ich mich nie als Touristin, immer nur als Besucherin, wobei ich mir über den Unterschied, falls es einen gibt, nicht einmal Gedanken machte. Angesichts Deiner Schilderungen war ich wieder dort. Ja, die Plöck und die vielen antiquarischen Buchhandlungen und die Schach-Kneipe. Die Städte, in denen die Kinder studieren, wachsen einem ans Herz, bei mir waren es Heidelberg und Münster.
Jadoch, das ist ein Unterschied. Touristen haken Ziele ab; Besucher machen Entdeckungen, denn sie kommen ja wieder.
Wenn ich nicht wüßte, daß Sie Non-standard-Bähnchen aller Art mögen, hätte ich Ihnen jetzt eigentlich zugetraut, daß Sie auf den Königstuhl zu Fuß …
Und der Neckar hat doch eine Promenade! Am südlichen Ufer. Mit Rad- und Fußweg, Wiesen und Überwinterungsgänsen.
Zu Fuß: das wäre sicher was für einen langen Sommertag. Und ich verspreche es alles Heidelbergern: nach dem schöneren Uferweg werde ich noch mal suchen.
Manchmal hupfen bekiffte alte Damen von der alten Brücke in den Neckar- oder man ergeht sich in einer der noch vorhandenen alten Buchhandlungen, kauft sich dort das Buch von der Sowieso mit der Szene, in der die bekifften alten….
Schöner Ausflugsbericht jedenfalls!
Danke! Keine einzige bekiffte alte Dame gesehen (und Buchhandlungen nur von außen). Aber in den Neckar hupfen wäre sowieso zu kalt gewesen.
Otterschmalz? Habe ich richtig gelesen?
In der Tat. Und was man da noch alles lesen konnte! Der Apothekerberuf hat sich wohl wirklich sehr geändert in den letzten zweihundert Jahren, das waren wirklich Kräuterfrau-plus-Alchemisten …
Auf manchen Basaren anderer LÄnder gibt es sie noch. Ob ich ihre Mittelchen kaufen würde, weiß ich nicht …