Es war einmal ein Café …

Qype-Beitrag zu Café Lehmkühler, Kreuzstraße 46, 55543 Bad Kreuznach; Bewertung: *** (von 5)
Vorab: Das Café Lehmkühler, so wie ich es beschreibe, gibt es nicht mehr. Den Nachfolger der Hartmanns habe ich nie besucht; die drei Punkte sind schamlos geraten. Das alte Lehmi hingegen hätte zwanzig Punkte verdient.

Das Café Lehmkühler hat mich für Durchschnittscafés verdorben. Über viele Jahre war es eine Perle in der spröden kleinen Stadt Bad Kreuznach, ein emsiges, schrulliges Paradies der Konditorkunst.

Schon wie es einen empfing: heimelige Enge, Kaffeeduft und das Zischen des Sahnebereiters. Moosgrüner Teppichboden, darauf zusammengedrängt die schönstmöglich abgewetzte Wiener Kaffeehauseinrichtung. Überall, wo es schicklich und zierend war, das geschliffene Kristall von Kronleuchtern und Wandlämpchen. An den Wänden großzügig geblümte Tapeten, cremefarben und pastell. Regelmäßig wurde hier neu tapeziert, nie aber fehlten zwei musizierende Barockengel und eine sonnenförmige Uhr, die zwar golden glänzte, die Uhrzeit jedoch meist für sich behielt. Und ein Foto der schwedischen Königin.

Frau Hartmann nämlich war Schwedin. Rund und eindrucksvoll, stets makellos gekleidet, mit Grübchen, blondem Haarnest und sonnig lächelndem Akzent präsidierte sie über eine Tortentheke, die in meiner Erinnerung ihresgleichen sucht. Die Lehmkühler-Torten waren handgemacht vom mürben, duftigen Boden bis zur marmorierten Glasur, und sie waren unglaublich raffiniert — ach, die Birnen-Milchreistorte mit dem Johannisbeerzucker-Rand!

Immer wenn die Theke geplündert schien, wenn die wartenden Kunden die Verzweiflung packte, kamen neue Köstlichkeiten aus dem Keller. Dort hatte Herr Hartmann seine Backstube. Manchmal erschien er selbst, mehlbestäubt und etwas eckig, im Verkaufsraum. Vorher soll er Gärtner gewesen sein — ob das stimmt, weiß ich nicht; jedenfalls gab es ein sorgfältig gepflegtes Blumenfenster hinten im Caféraum, dort, wo die Zimmerdecke aus Milchglasscheiben bestand.

Lange Zeit war das Café Treffpunkt der Kreuznacher Künstlerszene, die hier gelegentlich auch Bilder ausstellte. Bis die Preise zu hoch wurden (unerhörte drei Mark zwanzig für den Kakao!); da zogen die Künstler weiter, und ihre Plätze wurden nahtlos von anderen Gästen übernommen.

Wer im beständigen Kommen und Gehen einen Platz ergattert hatte, der konnte dort ausatmen und für die nächsten halben oder ganzen Stunden eins mit dem Sitzkissen werden. Nie wurde gedrängelt, und Stammgäste fanden häufig niedliche kleine Gebäckstücke auf ihren Untertassen. Es gab viele Stammgäste. Das lag auch an Simone, der guten Seele des Hauses. Niemals war das papierne Spitzendeckchen unter der Tasse kaffeegetränkt, wenn Simone ein Tablett brachte. Sie trug, wie alle Angestellten, die rosa berüschte Uniform des Betriebs, die aber ihrer Autorität keinen Abbruch tat.

Sommers saß man draußen zum Leutegucken, geborgen unter der gestreiften Markise und hinter einem weiß lackierten Schnörkelzaun, komplett mit lila und rosa Petunienkästen. In der Weihnachtszeit stand im Schaufenster ein Lebkuchentraumhaus, jedes Jahr mit neuen unglaublichen Details. Und wenn die schlimmen Kreuznacher Hochwasser die ganze Innenstadt überspült hatten — das Lehmi war wieder geöffnet, ehe noch der Teppich ganz getrocknet war.

Leider haben die Hartmanns vor einigen Jahren ihr Geschäft aufgegeben. Sie sollen nach Schweden gezogen sein — ich wünsche ihnen alles, alles Gute für den Ruhestand. Und so schüttele ich immer mal wieder meine Erinnerungen auf wie eine Schneekugel und schaue dann zu, wie das schöne Bild allmählich wieder zugedeckt wird. Von blütenweißem Staubzucker.