Werkstattbesuch

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist, mir Arbeitsplätze anzuschauen, und die von Goldschmieden finde ich besonders schön. Ins wohlsortierte Durcheinander von technischem und womöglich gefährlichem Gerät sind Farben getupft: Glasstangen, Bildvorlagen, hübsche Fundstücke und die zarten Erzeugnisse der Werkstatt. Diesen sieht man es kaum mehr an, aber Werkzeuge und Maschinen machen klar, daß auch eine Goldschmiedin im Grunde eine Schmiedin ist und mit Feuer, körperlicher Kraft und handwerklichem Geschick arbeitet.

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Weihnachtsmarkt!

Die Nächte werden länger, die Temperaturen fallen, im Lande läuft wenig rund, dafür jede Menge schief — beste Voraussetzungen für ein bißchen Realitätsflucht. Dem Wirklichkeitsgeplagten bieten Städte und Gemeinden zum Jahresende Instant-Idyllen mit Alkoholausschank und Musik wie Zuckerpampe: Weihnachtsmärkte.

Ich bin allgemein keine Freundin von Rauschgoldplastikkram, Süßer-die-Glocken und glühweinbeschwipsten Menschenmassen. Aber es gibt einen Weihnachtsmarkt, den ich mag, nämlich den im Darmstädter Stadtteil Bessungen: Eine Handvoll Buden auf dem Dorfplatz bei der Kirche; hausgemachter Punsch, hausgemachtes Essen, hübsche Dinge von Kunsthandwerkern. Und, wichtig, keine flächendeckende Weihnachtsbeschallung.

Wenn Goldschmiedinnen Plätzchen backen ...

Die Budenbetreiber sind aus der Gegend, auch das Publikum ist eher lokal, die Stimmung friedlich, selbst wenn’s nicht schneit. Also, wenn schon Weihnachtsmarkt, dann dieser — da klappt es auch, ein, zwei Stündchen lang, mit der Realitätsflucht.

Der Bessunger Weihnachtsmarkt im Netz
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Kontinuität

Rohmaterial für die Polsterei.

Statt Wegwerfen: Schöne alte Dinge wieder nutzbar machen, ihnen mit Liebe und Sachverstand ihren Wert wiedergeben? Das gefällt mir. Entsprechend erfreut hat mich ein Besuch des Darmstädter Ateliers Continuité, wo die Belgierin Joëlle Massart alte Polstermöbel handwerklich restauriert und natürlich auch Neues gestaltet. Da ich meinem Qype-Artikel keine Bilder hinzufügen kann, hier ein paar Eindrücke.

Eierbecher 3

Den vermutlich ältesten mit der eigenartigen Trichterform habe ich geschenkt bekommen, weil er doch ein paar Macken hatte. Jetzt reckt er sich in der Blumenrabatte vor meinem allerliebsten Haushaltswarengeschäft. (Diesen Sonntag übrigens geöffnet.) Er macht sich hübsch zwischen Primeln, Narzissen und Schlüsselblumen; ich stelle mir vor, daß sich seine unversehrten, nagelneuen Kollegen hinter der Schaufensterscheibe drängeln, um ihn zu sehen… Vielleicht darf er bis zur Sommerbepflanzung bleiben?

Theater unterm Himmelszelt

Qype-Beitrag über die Freilichtbühne am Wasserhäuschen, Weinberg »Himmelacker«, 55232 Alzey-Dautenheim, Bewertung: ***** (von 5)

Wie macht man ein Theater? Ganz einfach: Man braucht ein Fleckchen Land und ein, zwei Traktoren, eine wackere Schar freiwilliger Helfer, die Gabionen zu Sitzreihen auftürmen und mit Holz bedecken; darüber das Sternenzelt des Sommerhimmels, und schon hat man es, das Theater.

Na, das »ganz einfach« nehme ich zurück. Familie Storr, seit einer Dreiviertelewigkeit in Dautenheim ansässig, hat nicht gerastet und geruht, bis ihr Freilichttheater im Weinberg »Himmelacker« fertig war. (Und das war, so eine verläßliche Quelle, etwa zwei Stunden vor der Vorstellung.)

Etwa hundert Menschen können in den ansteigenden Sitzreihen am Wasserhäuschen Platz nehmen; die Bühne ist ein Traktoranhänger, bebaut mit den Kulissen, der vor dem Publikum geparkt wurde. Musik und Technik sitzen oben auf dem Wasserhäuschen, von wo man zwischen den Einsätzen einen wunderbaren Blick in die Landschaft hat. Alles andere passiert im Weinberg: auf den Rebstöcken hängen Kostüme, die Darsteller verschwinden dramatisch oder einfach zum Umziehen in den Reihen.

Das Eröffnungsstück hätte für genau dieses Theater geschrieben sein können: Thomas Bernhards »Die Macht der Gewohnheit«. Annette Storr und Steffen Klewar lassen das Stück komplett im Wohnwagen des Zirkusdirektors Caribaldi (Werner Graenzer) spielen, der seit zweiundzwanzig Jahren versucht, seiner widersetzlichen Truppe ein perfektes »Forellenquintett« abzuringen.

Die Schauspieler, Musiker und Theaterleute aus Berlin und ganz Deutschland machten aus dem bösen Dreiakter ein unvergeßliches Erlebnis im rheinhessischen Wingert. Schon Bühne, Kostüme und Requisite waren absolut sehenswert. Und natürlich kann man nicht zu Winzers ins Theater gehen, ohne daß auch Brot, Worscht und ein guter Wein im Angebot wären.

Heute abend gibt es noch eine Aufführung, im August 2011 zwei weitere, und »morgen Augsburg!« — Ich hoffe, es wird in den kommenden Jahren noch viele solcher Theaterabende unter freiem Himmel geben.

30 bunte Tassen — achtundzwanzig

Nun habe ich mich mit meiner Kamera nach draußen gewagt: Einer meiner Lieblingsläden ist das Paradies des guten Porzellans. In wirtschaftlich klammen Zeiten hat der Einzelhandel zu leiden, aber hier wird kompetent und freundlich das Ideal des Fachgeschäftes hochgehalten. Die Auswahl ist überwältigend, und es gibt immer etwas Neues, Nützliches oder besonders Schönes zu sehen.

Im Porzellanladen
Muhlke GmbH hat das schönste Porzellan

Auf Schienen durch die Stadt

Qype-Beitrag zu Saarbahn, Saarbrücken; Bewertung: ***** (von 5)

Jeder Städter kann »seine« U-Bahn mit geschlossenen Augen am Geruch erkennen. U-Bahn haben wir hier nicht — aber der Gesang der Saarbahn, das Summen, Rumpeln, Jaulen und Pfeifen, mit dem sie in die Kurve geht, läßt Saarbrücker Herzen höher schlagen. (Spätestens dann beschleunigt sich der Puls, wenn sie einen mit schriller Glocke von den Schienen scheucht.)

Als die Saarbahnschienen verlegt wurden, hieß das gefühlte fünf (also vermutlich zwei) Jahre lang Lärm, Staub, Teergestank und Stromausfälle für die Anwohner. In der Mainzer und der Kaiserstraße herrschte verkehrstechnisch Ausnahmezustand; immer mal wieder fing sich ein LKW in der Kurve der Umleitung, dann ging zehn Minuten gar nichts mehr. 1997 war die Saarbahn endlich fertig.

Heute ist sie nicht mehr wegzudenken aus der Innenstadt. Sie fährt innerhalb Saarbrückens vom Heinrichshaus bis nach Saarbrücken Ost und zurück, einmal quer durch die Stadt. Sie bildet so das Rückgrat des Öffentlichen Personnennahverkehrs, um das sich die Buslinien ranken.

Daß das Streckennetz so übersichtlich ist, liebe ich an dieser Bahn: Eigentlich gibt es nur die Linie 1, werktagsüber alle acht Minuten, sonst und nachts alle 20, von morgens halb Fünf bis nachts um Zwo. Wenn Messe ist, soll es auch eine Linie 2 geben, und sogar von Linie 3 habe ich schon gehört, aber das halte ich persönlich für Ammenmärchen. Bei Umzügen, Ausflügen und Möbelkäufen hat mir Linie 1 bislang vollauf genügt, für derzeit 2,20 pro Fahrt (Kurzstrecke 1,80).

Die Züge haben sich ganz gut gehalten, modern, barrierefrei, blau innen und mit viel Fenster. Die Haltestellen werden auf Deutsch und Französisch angezeigt und durchgesagt. Früher mal sprach die Ansagedame mit merklich westpfälzischem Zungenschlag — Nächster Halt: Johanneskirsche –, aber das hat man ihr leider ausgetrieben.

Die Tafeln an den Haltestellen geben die verbleibende Zeit bis zur nächsten Bahn in »min« an. Das sind nicht etwa Minuten, sondern flexible Saarbahnzeiteinheiten, die je nach Verkehrslage länger oder kürzer sein können. Das macht nichts, ich mag das — denn die nächste Saarbahn kommt immer, ganz bestimmt.

Am allerallerbesten gefällt mir aber, daß man in Saarbrücken einsteigen und in Frankreich wieder aussteigen kann. Vorbei an Güdingen, Bübingen, Kleinblittersdorf und Grossbliederstroff bringt sie einen für 3,70 nach Sarreguemines. Dort kann man ein wenig auf alten Treidelpfaden an der Saar entlang spazieren oder in der pittoresken Innenstadt eine tarte des pommes verzehren.

Daran denke ich immer, wenn ich das Rauschen und Kreischen der bremsenden Saarbahn höre. Schön ist das.

(Die Besserwisserin in Sachen Saarbahn ist wie immer die Wikipedia.)

Prinz-Georgs-Garten, Darmstadt

Qype-Artikel vom 1.8.2008
Adresse: Schloßgartenstraße 6b, 64289 Darmstadt

Eigentlich sollte man unvorbereitet hierherkommen, so wie es mir passiert ist, und sich entzücken lassen Nun, ich schicke euch hin, es geht nicht anders.

Darmstadt hatte in seiner Geschichte als Residenzstadt viele Prinzen. Heute hat es entsprechend viele Gärten, die nach den Prinzen heißen. Was im 18. Jahrhundert als Lustgarten vor den Toren der Stadt lag, ist heute mittendrin, und so kann man, hoppla, plötzlich in dem eingefriedeten Park stehen und staunen.

Der Garten ist, ganz Rokoko, geometrisch angelegt und im Sommer herrlich farbig. Der erste Blick: geharkte Wege, Rasenflächen mit Buchsbaumhecken, Laubengänge, ein zentraler Springbrunnen. Die Nase sagt: das duftet ja köstlich … Der zweite Blick: Kohl! Mangold! Zwiebeln, Tomaten, Salbei! Und die Nase sagt, siehste.

Daß Kohl so schön sein kann! Das Gemüse ist hier vor allem nach optischen Gesichtspunkten ausgesucht und aufs appetitlichste mit Blumen und duftenden Kräutern kombiniert. Das geht, so heißt es, auf barocke Vorbilder zurück und ist mal was ganz anderes als die gewöhnlichen Fleißige-Lieschen-Rabatten.

Wenn man dann auf den Wegen dahinwandelt, an lockenden Ruhebänken vorbei (die an Wochenenden garantiert alle belegt sind) und von Fontänenmusik begleitet, erreicht man ein Palais. Man nähere sich mit Andacht!

Eine weit schwingende Freitreppe führt hinauf zum Portal, das in der mit Sandsteinornamenten reich verzierten Fassade — — Mo-ment. Noch mal ein paar Schritte zurück: Portal? Freitreppe? Ornamente? Alles aufgemalt. Eigentlich sind es doch eher ein paar Stufen und eine Tür, und das Palais ist ein Gartenhaus. Ich habe vier Anläufe gebraucht, leise kichernd, bis ich endlich drin war.

Und drinnen: Bücher! Regalweise Bücher. Hier kann man einfach durchspazieren, sich in Ruhe ein Buch aussuchen und es im Garten lesen. Oder auch mitnehmen, wenn man dafür ein anderes daläßt — Bookcrossing kann schöner nicht sein.

Surreal, unglaublich, magisch ist der Garten an einem stillen Frühsommer- oder Spätfrühlingstag. Bei Mondschein würde ich ihn gern mal sehen, aber nachts ist er leider geschlossen.

P.S.: Das Gemüse kann man bei den Gärtnern kaufen, für ganz schön wenig Geld.

Zu den Römern!

Qype-Beitrag zum Museum Römerhalle, Hüffelsheimer Straße 11, 55545 Bad Kreuznach, Bewertung: ***** (von 5)

Wohl jeder, der eine Grundschule im Landkreis Bad Kreuznach besucht hat, kennt die Römerhalle von mehr oder minder gut organisierten Wandertagen.

… Und hier seht ihr den Mosaikfußboden mit den Kämpfern drauf. Gladiatoren heißen die. Nein, Marco, ich weiß nicht, wer der stärkste ist. Das Mosaik ist fast zweitausend Jahre alt — Nils! Wenn du das da runterschmeißt, dann fährst du nach Hause! Sandra, tu jetzt mal die Caprisonne weg, das hier ist ein Museum …

Einer der größten zusammenhängenden Mosaikböden der ganzen germanischen Provinz ist hier zu sehen, aus einer römischen Palastvilla, wie es nur wenige in der Gegend gab. (Die nächste stand in Mauchenheim, Rheinhessen.) Ein Teil der Grundmauern ist noch hinter der Römerhalle zu sehen, das meiste unter einem Neubaugebiet begraben. Zwei Böden haben sie hier in die Römerhalle verlegt, mitsamt der Konstruktion einer römischen Fußbodenheizung.

… Nicht drängeln da vorne! Laß die anderen auch mal gucken, Nina, du bist nicht allein hier. Da wurde das Brennmaterial reingeschoben, von einem Sklaven. Wer weiß denn, was ein Sklave ist? — Nils, jetzt bleib da runter! Doch, Meike, die haben da reingepaßt, damals waren die Menschen kleiner. Oder vielleicht einfach Kinder …

Die Mosaiken zeigen Gladiatoren und wilde Tiere beim Kampf beziehungsweise den Meeresgott Oceanus mit Fischen und Meeresfrüchten. Die übrige Ausstellung ist klein, man kann sich aber lange darin aufhalten: Haarnadeln, Münzen, Schmuck, ein römisches Brettspiel; Ziegelsteine mit Tierpfotenabdrücken, Fluch- und Weihetäfelchen; Keramik, Glas (die Römer hatten doppelverglaste Fenster gegen das ungemütliche germanische Klima) und viele, viele “Viergöttersteine”, Stelen, die auf jeder ihrer vier Seiten einer anderen Gottheit huldigten.

Gewiß eine pädagogische Herausforderung für die Grundschule, selbst wenn die Texttafeln an den Exponaten sehr gut gemacht sind. Für Interessierte ist die Römerhalle einfach sehenswert.

… Sind jetzt alle da? — Nils? Nihils! Ah. Gut, dann stellt euch in Zweierreihen auf. Steffi, Michaela, Jeannette, Zweierreihen! So. Und jetzt langsam raus auf den Hof. Der Bus kommt in acht Minuten … Gerda, kannst du mal übernehmen? Ich glaube, ich brauchn Kaffee …

 

 

 

Große und kleine Schlachten

Qype-Beitrag zum Völkerschlachtdenkmal, Prager Straße, 04299 Leipzig; Bewertung: *** (von 5)

Das Völkerschlachtdenkmal und ich, ich und das Völkerschlachtdenkmal… Einmal im Jahr mußte ich hin.

Die DDR hatte noch ein paar Jährchen vor sich, ich fast einen halben Meter Wachstum. Die Luft der Stadt roch nach Kohlekraftwerk, und dazu paßte das Schwarzgrau des Steins. In meiner Vorstellung war es das Denkmal, von dem der Geruch ausging und sich über ganz Leipzig legte, bis in die Wohnstuben hinein.

Nach dem Entenfüttern strebten meine Tante und ich strammen Schrittes über die Wiesen dem Monument zu, ich im blauen Anorak, meine Tante mit Schirm und Mantel.

Wie eine plumpe Schachfigur hockt das Ding auf dem flachen Grund; schnell wird es groß und größer. Hinter dem frostigen Wasserbecken gibt es einen Eingang, der nicht einlädt. Rein mußte man trotzdem. Auch wenn es drinnen nicht viel wärmer war.

Stein auf Stein, zu groß für richtige Erinnerungen; höchstens waren die geschlossenen Augen der gigantischen grauen Krieger für Alpträume gut. Einmal hatte sich ein russischer Chor im Rund versammelt, um den minutenlangen Nachhall des Inneren für ein Konzert zu nutzen. Nun, es hat gehallt, und ich hatte hinterher Fieber.

De Völgorschlochd. Die hat man mir oft erläutert, und ich habe sie immer wieder gründlich vergessen. Nur diese eine dumme Anekdote blieb hängen, die von dem amerikanischen Touristen: Dem fällt zu allen volkseigenen Leipziger Sehenswürdigkeiten nur ein, tjaha, in Amerika gibt es das aber besser, größerer, schnellerweiterhöher. Als er nun mit seinem Stadtführer am Völkerschlachtdenkmal vorbeikommt, fragt er völlig hingerissen: That’s marvellous! Was ist das? Woraufhin der Guide die Achseln zuckt: Keine Ahnung, stand gestern noch nüsch da.

Neben diesem Witz ruht das Völkerschlachtdenkmal in meinem Gedächtnis, in der Abteilung für Nutzloses. Wer weiß, vielleicht schleppe ich ja dermaleinst meine Nichte dorthin. Falls sie mich ärgern sollte.