Alles Gute kommt von oben

Drei bis fünf Walnußbäume beschatten das Haus. Jetzt ist Herbst, da poltern Nüsse aufs Dach, rollen über die Ziegel und landen mit einem klatschenden Geräusch, wenn ihnen die grüne Schale zerbirst, auf dem Boden. Fürs Einsammeln gibt es einen Drahtkäfig am Stiel, der die Nüsse aufnimmt und den Rest zurückläßt, ein geniales Gerät. Am Gartenrand stehen drei Körbe, da kommen die Nüsse hinein.

Wenn sie noch nicht aus ihrer Schale gesprungen sind: behutsam drauftreten, dann lösen sie sich. Die hohlen rollen anders weg als die, die naß und schwer einen süßen Kern versprechen. Ich kann nicht anders, ich muß nach unten schauen: hier liegt eine Nuß, da, da noch eine, und dort sehe ich auch was. Wie ein Eichhörnchen, so stelle ich mir vor, eile ich von Fund zu Fund, in Zickzackhopsern, stopfe mir (da! noch eine!) die Backentaschen voll, also den Sammelkäfig (hier gleich zwei!), und entferne mich weit und weiter vom Baum, vom Haus, vom Gartenrand. Als ich aufschaue, bin ich nur ein paar Meter weit gekommen.

Ausfallschritt, und weiter: hier eine! Da! Da, ein ganzes Nest! Willst du nicht mal Pause machen, fragt K., Garten-, Nußbaum- und Aufklaubvorrichtungsbesitzerin. Jaja, gleich, die da noch, da liegt noch eine, da, und da … Und hier erst, zwischen den Büschen! Mein Blick ist an den Boden genagelt. Das Aufhören ist das Schwierige, da hat K. sehr recht.

Irgendwann, die Wiese scheint leergelesen (oder ich schaffe es, wegzuschauen), die Körbe quellen über und meine Finger sind walnußschalenbraun, beschließe ich: das war’s jetzt, es reicht. Ich wende mich eben zum Gehen, da greift der Wind in die Baumkronen, ringsum plumpst, prasselt und kracht es, Nüsse rollen und springen, und die Wiese sieht genauso aus wie vorher. Lachend packe ich den Aufsammler. Nächste Runde.

Darf ich vorstellen: Sisyphos, ein glücklicher Mensch.

 

Walnüsse

Mein Kindergartenweg war überwölbt von einem riesengroßen Walnußbaum. In meiner Erinnerung herrscht beständiger Herbst, der mich zwang, im Laub nach Nüssen zu suchen, sie auf einen Stein zu legen und draufzuspringen, um dann mit Sorgfalt die Nuß- von den Schalentrümmern zu trennen. (Und mich in jede Richtung des Weges hoffnungslos zu verspäten, zu der »Tante«, die nun wirklich nicht meine war, wie zum Essen daheim.)

Ich lernte, die Wucht meines Absatzes zu dosieren, so daß sich bald das ganze Walnußkerngebilde unversehrt aus nur mehr angeknackster Schale lösen ließ. Später dann öffnete ich Walnüsse noch schonender mit den Backenzähnen oder zwischen den Handballen.

Lag die Schale am Boden, begann der eigentliche Spaß: das Abziehen der Lederhaut, die leicht bitter riecht und unter der der weiße, kühle Kern nur noch in einem seidenpapiernen Häutchen steckt. Mit Übung kann man eine ganze Walnußhälfte in einem Rutsch von beiden Häuten befreien, und zur Belohnung zerscherbt das nackte Innere süß zwischen den Zähnen. Auch wenn es mir schon damals bitter besser schmeckte.

Die Ergebnisse meiner Forschung waren stattlich. Ich konnte die tauben Nüsse nach ihrem Klang auf den Steinen aussortieren; ich lernte all die Arten kennen, auf die Walnüsse komisch schmecken können, und die grauen und pelzigen ganz zu meiden; ich lernte, daß das Äußere der Walnußschale wenig über ihre innere Beschaffenheit aussagt, und daß es Ärger gibt, wenn man die eigene Haut mit den fleischigen Walnußfrüchten bräunt.

Dann war die Zeit vorbei, in der ich jeden Baum als meinen eigenen betrachtete. Die käuflichen Nüsse aus Frankreich oder Kalifornien, getrocknet und goldfarben in Plastiktüten, mochte ich noch nie; sie kommen in nichts an die unansehnlichen, kompliziert zu schälenden Nüsse unterm Baum heran.

Umso entzückter war ich über das Postpaket vom Niederrhein, das so schwer nur sein kann, wenn die Nüsse darin noch feucht und frisch sind. Ich habe sie weder mit dem Schuhabsatz noch mit den Zähnen geöffnet, aber die Freude an dem unverwechselbaren Biß, die ist genau wie damals auf dem Weg zum Kindergarten.

Walnüsse
... der Rest vom Fest. Danke! Sie waren herrlich!