Ach, klage ich, nun ist sie kaputt, die Kamera. Nix mehr zu machen. Ein Gutes allerdings hat das – wir werden ein bißchen schneller vorankommen; und das ist auch nötig, denn wir haben uns was vorgenommen, Herr G. und ich. Wir wollen ja den Moselsteig, ganz. Die Landschaft bietet Abwechlung auf engem Raum und immer wieder Überraschungen. Schöner als der Rhein!, urteilt Herr G. Ich finde, es ist anders und habe außerdem ein Herz für den Rhein; daher: unentschieden.
Wir starten mit einer Busreise durch Weinberge und Neubaugebiete. Wer hier kein Auto hat, braucht viel Zeit für solche Sachen. In Leiwen beginnt unser Wanderweg. Das Dorf bereitet sich auf ein Weinfest vor; wir lassen das schnell hinter uns und betrachten von fern den hübschen Ort und die Ferienanlage ein paar hundert Meter daneben, beliebtes Ziel für Junggesellenabschiede, wie man liest.
Der Weg spannt sich wingertsweise zwischen Rebreihen den Berg hinauf. Sauber gekämmte Hänge, rechts grün, links grün; eigentlich sind die Reben das Grünste nach diesem trockenen Sommer. Oben am Waldweg steht ein Ebereschenbaum, überwuchert und dicht behangen mit dunkelblauen Trauben. Bißchen hoch, leider; aber, mutmaßt Herr G., vielleicht haben die Römer das wirklich so gemacht? Ulmen als Stützen für den Wein, wie Ovid schreibt?
Am Steilhang hat ein Gemetzel im Weinberg stattgefunden: da liegt das Grün am Boden, der Winzer hat alle überschüssigen Blätter von den Reben entfernt, händisch, damit nichts die kostbaren Trauben beschatte. Wir sehen ihn, wie er zwischen den Rebstöcken turnt und ein Blatt nach dem anderen abknipst. Wenn man darüber nachdenkt –! Das wird hoffentlich kein Wein für dreifuffzich.
Nach Mehring führt der Weg durch Wald über eine kahle Bergkuppe, von Schafen freigeweidet; der Pfad schnürt durch das bleiche Gras, von der Hitze plattgewalzt, hier und da erhebt sich dunkel gegen den Himmel ein Baum. Der strohige Grund flimmert – keine optische Täuschung: kleine Schwärme von Staren flattern auf, alle wechseln gleichzeitig die Richtung und lassen sich anderswo nieder. Wir schnaufen bergauf; dann liegt das Land vor uns, weit und rund bis an die Ränder des Himmels. Dafür –!, sagt Herr G., und ich nicke.
Da knattert es in unserem Rücken: ein Mofa überholt uns auf dem Fußpfad; den Fahrer finden wir etwas weiter, wie er von seinem Gefährt aus in die Ferne schaut. Den Helm behält er auf. Wenige Minuten später rollt er auf dem Abwärtsweg wieder an uns vorbei, mit Handzeichen grüßend. Sein Abendvergnügen, vermutet Herr G.; und jetzt fährt er wieder heim zu Fernsehen und Feierabendbier.
Abends ist die Pension abscheulich eingerichtet und hat dafür am Morgen selbstgemachte Marmeladen zum Frühstück. Wir sind höchst zufrieden. Der zweite Teil des Weges wird immer länger, je weiter wir kommen; jedes neue Schild hat ein paar hundert Meter mehr, Trier rückt in die Ferne wie eine Fata Morgana. Trotzdem kommen wir an. Die Stadt ist voller chinesischer Reisegruppen und Karl Marx. Eine Konditorei, die Herr G. von früher kennt, ist verschwunden, aber auch andere Cafés haben guten Kuchen.
Das nächste Mal machen wir bald, nehmen wir uns vor; aber es ist gar nicht mehr so viel übrig vom Moselsteig. Vielleicht muß man ihn einfach noch mal gehen? Dann vielleicht doch mit Kamera?
Und wart Ihr auf dem Aussichtsturm mit Fünfseenblick? Schreibt jedenfalls die moselsteig.de zu Eurer Etappe.
Na klar! Erster Tag, also frisch wie die Antilopen hochgehüpft. An zweiten Tag wär das nicht mehr passiert.
Also das mit der Kamera ist langsam Besorgnis erregend, da ist der Wurm drin. Und ich frage mich selber ob ich denn nicht selbst blöd bin, dass ich immer noch mit der alten Canon knipse, wo scheinbar selbst die Handykamera meiner Frau besser und hochauflösender ist.
Die arme alte Kamera ist hin. (Sooo alt war sie nicht; höchstens fünf Jahre.) Ich muß mir was überlegen; normalerweise will ich ja nix Neues. Vielleicht muß ich wieder mit Zeichnen anfangen.
Zeichnen ist doch super. Skizzen, Bleistift, Tinte -> Magie!
Übrigens ist Marie Severin gestorben. Längst nicht mehr mein Lieblingsgenre, aber als Teen habe ich Superhelden auch gemocht, wie alle.
Bestimmt gab es abends auch einen guten Moselwein.
Oh, einer war klasse, eine Riesling-Spätlese. Aber man reist ja mit leichtem Gepäck, da konnte ich nix mitnehmen.
Oh, kaputt? Wie schade.
Aber dein Text ist trotzdem bildhaft! 😊
Danke Dir. Ich schwanke. Ich glaube manchmal, ohne Kamera sehe ich mehr; aber mit den Bildern als Gedächtnisstütze erinnere ich mich an mehr. Hm …
Bildreicher Bericht- schön!
Abscheuliche Einrichtung – ich sehe es vor mir – kriege aber auch eine Ahnung der feinen Marmeladen zum Frühstück!
Ich muß dazusagen, daß mir abscheuliche Einrichtungen um Längen lieber sind als 08/15. Von den abscheulichen redet man noch lange; und sie sind ein Ausdruck persönlicher Geschichte und eines Gestaltungswillens, der über das Abarbeiten des üblichen Möbelhauskatalogs hinausgeht. Und für ihre Marmeladen will ich die kleinen Pensionen loben – großartig sind die.
Bergauf schnaufen und flussab laufen. So könnte es gehen. Danke, liebe Normalverteilerin! Fußlahm, leider, folge ich im Zweivierteltakt gern auch in die abscheulichsten Einrichtungen, auch gedanklich, wenn es nur am nächsten Morgen weiter geht auf umknatterte Höhen.
Das Schöne ist ja, nach bergab folgt eigentlich immer wieder eine Höhe. Ich wünsche baldige Besserung für den lahmen Fuß! Selber gehen ist doch schöner als nur nachlesen.
Das war doch deine verschollen geglaubte und dann wundersam wieder zum Vorschein gekommene Kamera? Nun hat sie eine Weile für dich gearbeitet und kann halt nicht mehr…Wenn du sie nicht wiederbekommen hättest, hättest du sie nach geziemender Anstands- und Trauerfrist doch wohl auch ersetzt?
Ich bin eine große Anhängerin des optischen Notizbuchs in Form einer kleinen handlichen Digi. Wie die Maus Frederick im Kinderbuch sammle ich schöne Sommeranblicke für unwirtliche Wintertage (und kühlende Winterimpressionen für Schwitztage…)
Ja, die war’s, die immer wieder zurückkam. Ich hatte sie schrecklich gerne und werde sie nur mit Murren und Knurren ersetzen. Aber mir geht’s wie Dir – der Bildspeicher hält die Erinnerungen frisch; ohne gefällt es mir auch nicht.
Selbstgemachte Marmelade hatten wir neulich auch, in einer Pension im Vogtland: Erdbeere mit grünem Pfeffer. Und zum Thema Zeichnen versus Knipsen: ersteres braucht entschieden mehr Zeit, bedarf also der Abstimmung im Team 😉 – dafür weniger Technik, also geiler.
Hinzu kommt, daß man die ersten zwei, drei Skizzenblöcke wegwerfen kann, als “war nix außer Übung”. Da muß man durch, das finde ich am schwierigsten. Aber stimmt: je weniger abhängig von Technik, Strom, Netz & sonstigem Quatsch, desto besser. .)
Ach nee, nun hattest du die Kamera endlich wieder und nun will sie nicht mehr, wie schade. Aber manchmal ist Reisen ohne Fotoapparat auch schön, auch wenn man sich hinterher bisweilen ärgert, das eine oder andere Bild nur im Kopf gespeichert zu haben. Selbstgemachte Marmelade hat was. Den Rest muss man ausblenden.