Finstere Geschichten

Der Wanderweg führt an einem dörflichen Totenacker vorbei: Bodendecker um Granitsteine mit einer Handvoll Namen, gut lesbar über die hüfthohe Hecke hinweg.
Außerhalb der Umfriedung, in dem schmalen, abschüssigen Streifen Gras, der eingezwängt ist zwischen Hecke und Weg, liegt eine schwarze Grabplatte. Die Namen zweier Eheleute stehen darauf, der des Mannes schon verblichen, sein Todesjahr 1952; die Frau starb 1986.
Die Vorstellung: wie sie mehr als dreißig Jahre dieses Grab hinter der Hecke besucht haben muß.
*
Im Haus der Großmutter tickten Uhren uns Kinder in den Schlaf. Jedes Jahr kamen wir zu Besuch, und jedes Jahr gaben dieselben Zahnräder und Läutwerke den Hintergrund für unsere Träume. Uhren über Uhren, seit Jahrzehnten in diesen Zimmern — wir fragten die Großmutter danach.
   Euer Großvater, sagte sie, hatte hier seine Uhrmacherwerkstatt. Die Leute haben ihre Uhren hergebracht, damit er sie in Ordnung bringt.
   Und dann?
   Dann haben sie sie heile wieder abgeholt.
   Sind die Uhren hier denn nicht heile?
   Nu, die sind alle repariert!
   Dann will die einfach keiner mehr haben?
Viel später erst begriff ich, daß die Uhren, die seit dem Krieg in der großelterlichen Wohnung immerzu abliefen und wieder aufgezogen wurden, Verschollenen gehört hatten. Gefallenen. Deportierten.
*
Als der Liebste schon eine lange Weile krank war, ließ er sich ein Buch schicken, das war gepriesen worden: ein »wichtiges«, ein »starkes Werk«, ein »Buch für diese Zeit«.
Dann lag es gelesen neben seinem Bett, und er sagte still und mit zwei steilen Falten auf der Stirn: Zeitverschwendung, das sei es gewesen.
Da hatte er noch vier Monate zu leben.
Ach, daß ich ihn nicht bewahren konnte vor diesem Buch.

0 thoughts on “Finstere Geschichten

  1. die zeit, die zeit von martin suter fällt mir dazu ein. eine art philosophischer roman über den tod geliebter menschen mit krimielementen: ganz bestimmt keine zeitverschwendung. ich glaube, der liebste hätte es gemocht. und du vielleicht auch?

    1. Dank Dir, soso. Der Suter ist ein interessanter Tip — keine Zeitverschwendung, das klingt gut. Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher, schlechte Butter, schlechten Wein! Und viel zu kurz für schlechte Manieren.

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