Sie ist’s (Heizperiode)

Die Sonne zwängt sich durch die Wolkenlücken
und sendet dürre Strahlen gen Asphalt.
Die südlicheren Tage sind vorüber. Es ist kalt.
Zwar möcht ich gerne mich vor der Erkenntnis drücken,

nur hängt das Sommerkleid unübersehbar schlaff vom Bügel,
von dem ich eben erst den Wintermantel rafft’.
Ich fror dann doch zu sehr in luftig-leichtem Taft
beim Gang durch die (doch grad noch sommerlichen!) Hügel.

Man müßte langsam wirklich auch die Wohnung wieder —
ach was, ich trage Wolle drunter! Und so kühl …
man unterschätzt ja leicht die Temp’raturen nach Gefühl …

Dann tau’n beim Kochen mir am Herd die starren Glieder.
Ich gebe mich geschlagen. Ja: Ich stell die Heizung an.
‘s wird Winter. (Nimm es hin. Und dann gewöhn dich dran.)

 

 

Aus der etwas angestaubten Reihe der Haushaltssonette. Und: anderen geht es auch nicht anders.
Und: Mitspieler willkommen!

 

Lob meiner Spülmaschine

Das Wasser schwappt mir bis zum Ellenbogen.
Die Spülmaschine tat nicht, was sie sollte,
und spülte nicht so sauber, wie ich’s wollte:
nun tauch ich selber mit der Bürste in die Wogen
und schrubbe, was vom Nachtmahl auf den Tellern
verblieben, jenen allerletzten Rest,
der, schrubbte ich nicht jetzt, bald fest
an ihnen säße wie der Schwamm in Kellern.
Nach einer guten halben Stunde Frist
steht, wieder sauber und bereit, das Porzellan
im Schrank. Und diese halbe Stunde ist
vom Spülknecht mir ein tägliches Geschenk;
nur denk ich täglich selten noch daran.
Ein zarter Spülsaum legt sich um mein Handgelenk …
 
Nicht glänzend, aber selten – zu: Haushaltssonette. Wie hier und hier. Und hier — danke, Petra! –, hier und hier, aus der Art geschlagen, aber nicht minder reimfroh. Lyrisches zum schönen Schein gibt es, hach, hier.
Wer mag mitspielen?

Zu schnell

Das Auto hinter mir fährt dicht auf, drängelt an der roten Ampel, obwohl die Straßen leer sind zu dieser nachtschlafenden Zeit. Na, denke ich, der hat’s aber wichtig. Dann überholt mich der Wagen mit aufbrüllendem Motor; Idiot. Als ich aber sehe, wohin er ohne zu blinken abbiegt, schlägt mein Ärger um. Es ist das Gelände der Uniklinik; diese Einfahrt führt zu den Pavillons der Intensivstation mit ihren ewig heruntergelassenen Jalousien, und Parken ist hier streng verboten.
Ich wünsche dem Drängler von ganzem, heißem Herzen, daß er schnell genug ist.
 
 
 
 
 
 

Hotel des Fortschritts

Jeden Sommer ging die Fahrt nach Westen, »zu den Franzosen«. Pausenlose Ewigkeiten von Landstraßen; die Sonne knallte auf den Käfer (später: Golf, noch später: Passat), die Laune auf der Rückbank sank, wie die Temperaturen stiegen. Aber irgendwann war es geschafft, und wir erreichten Béton, ein 500-Seelen-Dorf nicht allzu weit von Paris.
Da waren wir Gäste beim großen Treffen der Familie V., das Jahr für Jahr im Hôtel du Progrès stattfand, dem Gasthaus mitten im Ort, an der einzigen befestigten Straße. Vier Generationen kamen hier zusammen, um den Geburtstag des alten Monsieur V. zu feiern.
Das Hôtel du Progrès war …

Zeitverschiebung

Wenn sie aufstand, hatte er noch ein paar Stunden Nacht vor sich. Wollte sie ihn nach der Arbeit anrufen, dehnte sich ihr Abend; oft mußte sie dann die lange Nummer mit den langen Billiger-Telefonieren-Vorwahlen drei-, viermal wählen vor lauter Müdigkeit.
Der erste Tag eines jeden Besuchs war für die Katz; schlimmer als Wachbleiben nur, sich kurz hinzulegen. (Eiserne Jetlag-Regel: …

Finstere Geschichten

Der Wanderweg führt an einem dörflichen Totenacker vorbei: Bodendecker um Granitsteine mit einer Handvoll Namen, gut lesbar über die hüfthohe Hecke hinweg.
Außerhalb der Umfriedung, in dem schmalen, abschüssigen Streifen Gras, der eingezwängt ist zwischen Hecke und Weg, liegt eine schwarze Grabplatte. Die Namen zweier Eheleute stehen darauf, der des Mannes schon verblichen, sein Todesjahr 1952; die Frau starb 1986.
Die Vorstellung: wie sie mehr als dreißig Jahre dieses Grab hinter der Hecke besucht haben muß.
*
Im Haus der Großmutter tickten Uhren uns Kinder in den Schlaf. Jedes Jahr kamen wir zu Besuch, und jedes Jahr gaben dieselben Zahnräder und Läutwerke den Hintergrund für unsere Träume. Uhren über Uhren, seit Jahrzehnten in diesen Zimmern — wir fragten die Großmutter danach.
   Euer Großvater, sagte sie, hatte hier seine Uhrmacherwerkstatt. Die Leute haben ihre Uhren hergebracht, damit er sie in Ordnung bringt.
   Und dann?
   Dann haben sie sie heile wieder abgeholt.
   Sind die Uhren hier denn nicht heile?
   Nu, die sind alle repariert!
   Dann will die einfach keiner mehr haben?
Viel später erst begriff ich, daß die Uhren, die seit dem Krieg in der großelterlichen Wohnung immerzu abliefen und wieder aufgezogen wurden, Verschollenen gehört hatten. Gefallenen. Deportierten.
*
Als der Liebste schon eine lange Weile krank war, ließ er sich ein Buch schicken, das war gepriesen worden: ein »wichtiges«, ein »starkes Werk«, ein »Buch für diese Zeit«.
Dann lag es gelesen neben seinem Bett, und er sagte still und mit zwei steilen Falten auf der Stirn: Zeitverschwendung, das sei es gewesen.
Da hatte er noch vier Monate zu leben.
Ach, daß ich ihn nicht bewahren konnte vor diesem Buch.

Das braucht kein Mensch!

Bei Skriptum habe ich mir dieses unwiderstehliche Stöckchen genommen:

Schau, was ich dir gemacht habe, sagte er. Eine Mühle.
_____Und was mahlt die?
Sie mahlt nicht, sie macht: Zeit. Es ist ganz einfach — du drehst daran, und schon hast du Zeit.
_____Wunderbar, also kann ich damit gleich unser Wochenende verlängern!
Nein. Die Mühle wirkt nur, wenn man allein ist …
_____Dann werde ich drehen und drehen und die ganze Zeit nehmen, um an dich zu denken.