Erbschaften

Du hattest immer vor, Bilder zu machen von deiner Gegend, in der keine Ferne weiter ist als einen Schritt, von deinen Hohlwegen, von Hügeln in knirschendem Licht und Muschelkalk. Die mache nun ich. Ich mache sie für mich; aber ob du sie erkannt hättest, wüßte ich gern.

 

 

 

Alles anders

Manchmal, wenn ich ein sehr altes Blog finde, schaue ich, was andere an dem Tag gemacht haben, der für mich dein letzter war. Da lese ich von genossenem Essen, gehörter Musik, Ärger oder Freude bei der Arbeit, Schwimmbad mit den Kindern, Bemerktem, Besprochenem, Normalem. Leben eben.

Davon wußte ich nichts an all den Tagen, die danach kamen, und doch war es da. Manchmal tröstet das.

 

 

 

 

Kratzer

So viele schon sind dieses Jahr gegangen, jeder Verlust verschieden. Jeder hinterläßt eine Spur, einen Kratzer; nicht entstellend, aber auch nicht zu übersehen. Es werden mehr in jedem Jahr. Die Welt wird mir stumpfer, weniger hell, der Blick geht weniger weit.

Verlieren kann man nicht üben, wie ich weiß. Die Kerze hier: die ist für dich allein.

Dunklere Tage

Das Wetter: gemischt. Die Weltlage: schief, Tendenz fallend (und nach rechts). Die Aussichten: ungewiß im besten Fall.

All das Schlimme, Schwere und Schwierige – ich weiß nicht, was Du dazu sagen würdest. Das fehlt mir manchmal mehr als alles andere.

 

 

 

 

Im Garten

Auf dem Foto kniest du lächelnd vor üppigen Blumen, und auf deinem kahlen Schädel steht “Danke”, in Zahnpaste, Farbe wollten wir nicht riskieren. Ich weiß, wie wir einen Schattenplatz für dich suchten; wie ich mich beeilte, um dich nicht anzustrengen, und doch alle Buchstaben ins Bild bekam. Das Foto sandten wir, denn zum Telefonieren warst du zu erschöpft, an Freunde. Ein paar Tage später stiegen die Libellenlarven aus dem Gartenteich und hinterließen an jedem Halm ihre leeren Hüllen; das konnte ich dir nicht mehr erzählen.

Solche Erinnerungen ballen sich wie die Kohlensäure im Wasser, überraschende Einschlüsse im Alltag, kommen hoch und halten sich ein wenig unter der Oberfläche, schimmernd, und vorbei.

 

 

 

Lücken

Die Sommer werden heißer seither, denke ich jedes Jahr. Als fehlte dein Schatten auf der Erde. Ich frage mich, ob du, was alles fehlt, mitgenommen hast? Und wo geht hin, was ich vergesse?

Einen Stein für meine Tasche.

 

 

 

Reihen

So viele dieser Tage.

Du hattest einmal gesagt, Du freuest Dich darauf, älter zu werden; das würde vieles leichter machen.

Vielleicht werden wir älter mit für alle, die nicht mehr älter werden; manchmal fühlt es sich so an. Und es werden mehr, die fehlen. Ich wünsche mir und allen Lebenden Gutes und Leichtes.

 

 

 

 

Fortschritt

Ich erkenne ihn sofort, den Namen Deiner Krankheit, jeder Buchstabe bis zum letzten stimmt, in dem Artikel über ein ganz neues Medikament: drei unvertraute Buchstaben, Strich, drei Ziffern. Ganz neue Wahrscheinlichkeiten, und nicht einmal die Haare hättest Du verloren.

Das erste, was mir einfällt, ist Deine Telefonnummer, und ich wußte nicht, daß ich die noch weiß.