1.
Letzte Woche habe ich einen Kalender für das kommende Jahr gekauft und angefangen, Termine einzutragen. Damit ist die Illusion dahin, das Neue Jahr könnte ein wirklich neues sein; es ist eingeteilt, planbar und viel zu kurz, wie alle vorigen auch.
2.
Als wir klein waren, fuhren wir jedes Jahr zur Großmutter, fünfhundert Kilometer über ödes Land in eine winterlich-düstere Stadt. Ihre Wohnung, um einen enormen Kachelofen herum angelegt, stand voller Uhren – nicht abgeholten Uhren von Kunden des Großvaters, der hier vor dem Krieg seine Werkstatt hatte; wie nach ihm seine Tochter und schließlich deren Tochter auch. Uhren bevölkerten jede Fläche, drängten sich auf allen Schränken, auf den Fensterbänken, auf Anrichten und sogar auf den Tischen. Alle Uhren gingen; sie wurden regelmäßig aufgezogen, gewartet und repariert, wo nötig. Jede zeigte eine andere Zeit.
Unabhängig von Tag und Nacht klingelten, dröhnten und schepperten sie, was sie für die zu schlagende Stunde hielten. Schwiegen einmal alle Läutewerke, so hörte man sie ticken, Heerscharen alter Wecker, die Wand- und Schrankaufsatzuhren, porzellanene Zierührchen und drei, vier Großvateruhren auf dem Flur; man konnte anhand ihres Herzschlags mit geschlossenen Augen durch die Wohnung finden.
Der Vater, Verfechter preußischer Tugenden, mißbilligte diese Anarchie auf den Zifferblättern. Mehrmals regte er an, doch einmal sämtliche Zeitmesser auf Gleichschritt zu trimmen. Die Antwort war stets dieselbe: Nu, du bist hier bei Uhrmachers daheim.
Wir Kinder lernten, unter der Brandung der Zahnräder einzuschlafen und von keinem Glockenschlag wach zu werden, sondern erst vom Licht des Morgens.
Das ist viele, viele Jahre her. Was aus den Uhren des Großvaters geworden ist, weiß ich nicht.
3.
Ich habe neuerdings eine Wanduhr, ein schwarzes, glänzendes Quadrat. Sie empfängt, ganz Stand der Technik, das Signal des genauesten Zeitgebers per Funk. Doch wo andere stur 20:36:23 … 24 … 25 … durchblinken, da sagt meine Uhr: zehn nach halb neun, in freundlich leuchtenden Buchstaben. Und sie meint es wahrhaftig nur so ungefähr.