Mensch sein

Nein, ich nehme nicht leicht etwas persönlich. Auch nicht Werbung; die nehme ich normalerweise nicht mal wahr, geschweige denn ernst. Nur gelegentlich schafft es ein Slogan, ein Bild oder etwas in der Art, mein Beschäftigtsein mit anderem zu durchdringen; dann allerdings meist, um mich zu ärgern (Stichwort Ohrwurm).

Und nun wirbt da ein Warenumschlagplatz, den ich aufsuche, weil ich muß, mit: »Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein!«

Wie war das gleich noch bei Goethe? Nach dem Beinahe-Selbstmord der vergangenen Nacht unternimmt Magister Faust in euphorischer Stimmung seinen berühmten Osterspaziergang. Als er in der Ferne das Jubeln und Lachen festlich gestimmter Dorfbewohner vernimmt, ist er hingerissen. Während seinem Famulus Wagner das bunte Treiben roh und ordinär erscheint, erkennt Faust darin ein kollektives Aufatmen zum Feiertag, einen Ausdruck von Glück und Dankbarkeit: »Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!«

So, und was will mir der o.a. Werbeslogan sagen? Mensch bin ich da, wo ich Geld ausgebe? Das, was mich zum Menschen macht, ist das, was ich im Portemonnaie mit mir herumtrage? Kaufen ist toll?

Ich gehe nicht einkaufen, weil ich Freude daran habe. Ich sehe das weder als Mittel, mich auszudrücken, noch als entspannende Freizeitbeschäftigung, sondern ich gehe einkaufen, weil ich nun mal Zahnpasta brauche, weil ich waschen muß oder weil das Klopapier alle ist, und ich suche mir Läden nach fußläufiger Erreichbarkeit aus.

Mir ist klar, daß ich für eine Ladenkette nichts anderes bin als eine potentielles winziges bißchen Umsatz, irgendwas in der siebzehnten Nachkommastelle. Kleinvieh, das halt auch Mist macht. Wenn man mir per Werbung vermitteln will, daß es um mich als Menschen geht, dann schaue ich einmal nachsichtig über den Brillenrand. Mir aber zu sagen, daß mich – oder irgendjemanden sonst – der Konsum zum menschlichen Wesen macht, das verbitte ich mir. Ich müßte mich sehr, sehr dafür schämen.

0 thoughts on “Mensch sein

  1. Naja, bis hin zur Fleischerei Weida in 07570 Weida ist Goethe schon oft missbraucht worden. Ich kann deinen Unmut verstehen. Trotzdem haben mich deine Ausführungen zum Schmunzeln gebracht.

  2. Ich werde dementsprechend langsam zum Un-Menschen, da ich meinen Liebsten einkaufen lasse, da ich es selber eher hasse. Ihm macht es nichts aus, er scheint menschlicher zus ein.

  3. Ich gestehe, dass ich manchmal ganz gerne einkaufe. Vor allem dann, wenn ich ganz allein bin und alle Zeit der Welt habe. Dabei kann man manchmal ganz interessante Beobachtungen machen, denn es “menschelt” gewaltig in den Einkaufstempeln unserer Nation (und vermutlich in den anderen auch)

    Da waren vor Jahren die schon etwas älteren Münsteraner Grazien im Pelzmantel und mit Designertäschchen, die sich am Grabbeltisch bei Horten (heute Kaufhof) um ein paar Schuhe stritten – die eine hielt den ihren fest, die andere hatte den zweiten gefunden. Da kommen am unübersichtlich eingeräumten Pullover-(Jeans-oder was auch immer-)Regal die unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch über Größen und Farben und die unmögliche Strategie der Warenrepräsentation. Da tauschen sich junge und alte, dicke und dünne Frauen aus über BH-Größen und Passformen, ja im Notfall teilen manche sogar die Umkleide – und da zeigt der Blick in den Einkaufswagen einer Lokalgröße, dass auch er nur mit Wasser (oder Maggi-Fix) kocht.

    Diesen Werbespruch – obwohl ziemlich blödsinnig – würde ich persönlich von dieser Seite sehen. Nicht der Konsum macht mich zum menschlichen Wesen – sondern viel Menschliches, manchmal Allzumenschliches begleitet mich beim Streben nach Konsum 😉

  4. Hier im Kiez ist mir schon wichtig, wo ich Einkaufen gehe. Gerne zu den Kleinen, die gute Qualität anbieten und wo man ein kleines Schwätzchen hält. Da brauchts keine Slogans oder Reklame.

  5. Lenz, ach so. (Und sie haben gleich mehrere Rechtschreibfehler reingebastelt.)
    Karu, einkaufen lassen — das klingt traumhaft. — Eine Geschäftsidee?
    Meme, das wird mein Vorsatz: die Welt so freundlich betrachten wie Du … Du hast natürlich recht, Einkaufen kann Spaß machen. Spätestens, wenn ich von der Chefin mit »Täubchen« begrüßt werde und sie meine Lieblingsmarmelade vor den anderen Kunden versteckt. (Nur — in einer Drogerie-Kette –?)
    Wassily, das unterschreibe ich.

  6. Mir wäre er ja wieder einmal nicht aufgefallen, aber meine Tochter hat sich engagiert-emotional bei mir über den Schwachsinn beklagt. Ich habe mich gefreut, dass sie über so was nachdenkt und nicht so abgebrüht und unaufmerksam wie ich durch die Welt läuft. Goethe war ihr allerdings nicht geläufig, mir auch nicht mehr,und ihre Argumentation war nicht ganz so ausgefeilt wie Lakritzes.

  7. »Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein!« ist aber nicht neu, oder? Den Slogan gibts (zumindest bei uns) schon viele Jahre. Kanns sein, dass der ganze besagte Drogeriemarkt erst jetzt ins Saarland expandiert ist?
    Ich leide aber auch gerade an Werbung der unsäglichen Art. Muss zur Zeit an Wahlplakaten vorbeifahren auf denen neben der grinsenden Visage des Rechtsrecken H.C. Strache steht: “Mehr Mut für unser Wiener Blut. Zuviel Fremdes tut niemandem gut”. Da wird mir dann wiederum regelmäßig übel. Auch ohne Goethe.

    1. Ach, am Goethe liegt’s mir nicht; wie gesagt, Faust paßt immer. Aber zum Strache: Urgs! Da fehlt ja nur noch der Boden. Ich hoffe, die kritischen Geister werden wieder kreativ …!

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