Weit weg

Seit seine Frau gestorben ist, nach kurzer schwerer Krankheit, ist ihm die Zeit zu weit geworden wie ein ausgeleierter Pullover, oder er ist geschrumpft, daß er sich drin verheddert, manchmal.
Manchmal sitzt er morgens, nichts im Blick, und schaut er auf die Uhr, ist schon vier, wird sie ihn gleich rufen zum Kaffee; doch wie es dunkel ist, sitzt er da immer noch. Manchmal klingelt ein Telefon im Haus, soll sie mal drangehen, sie hatte das Telefon lieber als er, immer schon. Kommen Leute und reden — nicht sie, sie täte das nicht, nicht so — von Terminen oder Unterschriften oder Medizin, aber muß er nur die Augen schließen: davon geht das alles restlos vorbei, ganz ohne ihn. Macht ihr nur, macht nur.
Viele Tage sind Nacht, wenn er aus dem Fenster schaut. In der Nacht ist der Garten schön.
Wie soll’s schon gehen, jedem, wie er’s verdient, und: Unkraut, nicht wahr; er flüchtet sich in Worte, in die kein Kummer je gepaßt hat. Seinem Sohn, der ihn wöchentlich besucht, scheint er gefaßt, ja, heiter.
Nur das Stückchen noch. Ist nicht mehr weit. Sagt sie; und sie muß es wissen.
 
Beitrag zum Projekt *.txt (16: Distanz).
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0 thoughts on “Weit weg

  1. Ein ganz feiner Text ist das und ich denke an den alten Mann von gegenüber in dem Buch: Die Dame in Blau … das zu einem sehr wichtigen Buch in diesem Jahr für mich geworden ist.
    herzliche Grüsse
    Ulli

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