Unruhige Nacht auf See

Am zweiten Tag betrügt uns die Wettervorhersage – der Wind dreht nicht, und er bleibt auch nicht mäßig. Unser Ankerplatz liegt schutzlos, der Anker greift nicht im steinigen Grund. Es ist fast dunkel, als wir zum nächsten Hafen müssen, hinter die nächste Landzunge; nicht weit, aber gegen Wind und Wellen. Wir fahren mit Motor, das spürt man mehr, als man es hört: das ganze Schiff bebt im Takt der zwei Zylinder, während es sich über die Wellenberge schiebt. Windstärke 7 – nicht viel, eigentlich, aber so ein alter Segler sollte da im Hafen vertäut sein.
Ich schlafe im Bug des Schiffes, gleich bei der Ankerkette; meine Koje schmiegt sich von innen an die gebogene Bordwand, an die lackierten Planken. Wie sich das Schiff krachend in die Wellentäler wirft, wie es den Klüverbaum wieder zum Himmel reißt, nimmt es meinen Schlafplatz mit, auf und nieder; Aufzug fahren nennen das die Mitsegler. Wieder und wieder werde ich für Sekundenbruchteile ganz leicht auf der dünnen Matratze, dann drückt es mich mit sanfter Wucht hinein. Ich gleite in unruhigen Schlaf.
Drei Handbreit neben meinem Ohr wälzen sich Wellen gegen den Rumpf. Bei jedem Stampfen ächzt das Schiff. Rings um mich arbeitet das Holz; es knirscht und prasselt, wie angestrengter Atem, wie ein Herzschlag, und immer wieder merke ich auf bei neuen Nuancen. Unter all dem Getöse rumpelt und dröhnt der Diesel. Zwischen Schlaf und Wachen wird mir das Herz weit: gute alte Albatros, du tapferes, tapferes Schiff!
Am Morgen liegt der Dreimaster still. Ich höre Autos und denke im ersten Moment, was für ein absurder Traum; dann schüttle ich den Schlaf von mir und klettere den Niedergang hinauf: die Wache hat uns sicher in den Hafen gebracht, wir liegen keine zehn Meter von einer Straße entfernt. Das Wasser im Hafenbecken ist spiegelglatt und rosa beleuchtet von der aufgehenden Sonne. Als gäbe es keinen Wind auf der Welt. Am Kai stehen die ersten Leute mit Kameras und machen Bilder von uns.
So ein altes Schiff ist ein Kopfverdreher in jedem Hafen, ein flüchtiger Flirt: man stellt sich vor, wie das wohl wäre mit ihm …. Unvergeßlich wird es nach einer rauhen Nacht, geborgen in seinem hölzernen Leib; da kann man sich schon leicht bis mittelschwer verlieben.
 

Untergehender Mond überm Hafen.
Untergehender Mond überm Hafen.

Dreimast-Toppsegelschoner Albatros, Baujahr 1942.

0 thoughts on “Unruhige Nacht auf See

    1. Nein, das war längst keine schlimme Sache, das wurde mit der regulären Wache erledigt. Und ich als Grünschnabel hätte wohl nicht viel tun können …
      (Nur der Motor, den hatte es angestrengt. Der mußte anderntags repariert werden.)

  1. Da kann man neidisch werden!!! 🙂
    Aber wird man da nicht seekrank? Ich habe
    erst einmal eine Schiffahrt auf einem motorbetriebenen Segelschiff erlebt, für zwei Stunden, und hinterher war mir ziemlich flau im Magen. Bei wenig Wind …

    1. Hm, ich habe (noch?) wenig Probleme mit Seekrankheit. Aber ich kenne natürlich andere Leute; die allerdings können z.T. nicht mal über ne nasse Wiese laufen, ohne daß ihnen koddrig wird.
      Kurz: ausprobieren! .) Clipper ist eine gute Anlaufstelle, wenn man das mal möchte.

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