Living with C.

Die Mitbewohnerin hatte ihn im Waschsalon aufgegriffen, wo er seine Wäsche mit in anderer Leute Maschinen zu stecken versuchte. Nun saß er am Küchentisch und sprach kein Wort Deutsch, ein seltsam blasser, drahtiger Mensch mit wachsamem Blick und starken Eckzähnen. Die sah man, wenn er lächelte; seine Augen sahen wir nicht lächeln, nicht an diesem Abend.
Auf Englisch und in Pantomime erzählte er starke Stücke: daß er seit zehn Jahren unterwegs sei, aufgebrochen irgendwo im Westen Amerikas, und über Asien nun nach Europa gekommen. Daß er gar kein Geld habe. Daß alles, was er besaß, in diesen Rucksack passe. Rule #1: Be organized.
So kamen wir zu einem Amerikaner in unserer Küche. C. stand in der Frühe als erster auf und rollte seinen Schlafsack zusammen; bis wir Kaffee machten, hatte er seine Kontaktlinsen eingesetzt und Zeit gefunden für die obsessive Zahnhygiene, von der ich später erfuhr, daß sie zutiefst amerikanisch ist.
Wenn wir von der Uni heimkamen, brutzelte eine Suppe auf dem Herd (wir fanden nie heraus, wo er die Zutaten herbekam). Mal brachte C. uns von seinen täglichen Streifzügen Klopapier mit oder stellte einen Wein auf den Tisch; er selbst trank meistens Tee. Rule #2: Be prepared.
C. besaß die Fähigkeit, mit vollkommen unbewegter Miene die absurdesten Dinge zu behaupten, todernste Dinge hingegen wie einen Witz zu behandeln. Er zitierte ständig amerikanische Fernsehserien, Werbesprüche und Talkshows der Siebziger und Achtziger. Wovon wir kein Wort verstanden; aber das war nicht schlimm, C. erklärte es uns ausführlich.
Dieser Sommer mit C. war überhaupt lehrreich. Wir lernten, wie man schwarzfährt, sich auf Veranstaltungen mogelt und wie man kostenlos und mit vertretbarem Aufsehen an eine Mahlzeit kommt. Was uns auch zustieß, C. wußte sich zu helfen. Rule #3: Be resourceful. Zu ergänzen mit: Sei dreist.
Bald stellten wir fest, daß sein Nachname auf Schwedisch – er hatte skandinavische Vorfahren – das gleiche bedeutet wie meiner auf Deutsch. Von da an nannte er mich »Li’l Sis’«. Als mein Englisch flüssiger wurde, korrigierte er mich: »Don’t say ain’t, girl, that’s just not, you know, nice …« Er begann, seine Reiseerinnerungen in mein aufgegebenes Tagebuch zu schreiben.
Abends telefonierte er mit seiner deutschen Freundin down in Munich. Einmal fragte er mich, was das Wort »Nichtsnutz« bedeute. Danach war er gereizt und schweigsam.
Als seine Zeit bei uns um war, versuchten wir es noch ein Weilchen zu ignorieren; aber eines Morgens war C. fort. Er hinterließ uns eine Zehn-Kilo-Trommel Waschpulver, einen Stapel Konserven nahe dem Verfallsdatum und einen nachgestellten Fotoreport über seinen Aufenthalt bei uns in Teddybear Town, einschließlich Bildern von uns (schlafend in unseren Betten) mit drumherum arrangiertem Leergut. Ich fand in meinem Bücherregal einen originalen Mr. Potatohead, mit einem Gruß vom großen Bruder im Hinterteil.
Wir bekamen noch zwei, drei kryptische Postkarten; auch in unseren Erzählungen war C. gelegentlich anwesend. Aber mit der Zeit schien uns selbst die ganze Sache immer unwahrscheinlicher, und das Leben ging weiter. Rule #4: Be gone.
Jedenfalls kann ich seitdem Englisch sprechen.

0 thoughts on “Living with C.

  1. genial erzählte erinnerungsfetzen. du hast wirklich einen wunderbaren erzählstil. aber ich mag auch die figuren. ich mag die einfachheit, mit der c. sich in euere wg geschmuggelt hat. und das, was ihr in eurer gastfreundschaft und offenheit von ihm lernen durftet.
    danke fürs teilen!
    herzlich, soso

    1. Siehst Du, die eigene Sicht und Hoffnungslosigkeit hätte die Geschichte für uns Lesende beinahe verhindert. Ich finde, sie ist rund und hat alles, was nötig ist, inklusive Charakterskizze. Mag sein, dass mehr möglich gewesen wäre, aber uns hier draußen, die es nicht erlebt haben, reicht das, was Du “gerettet” hast aus. Mehr noch es ist klasse geschrieben.

    2. Danke.
      Es ist ja sowieso eine interessante Frage, was zwischen Sender und Empfänger eines geschriebenen Gedanken verlorengeht oder neu entsteht. Wer hat das noch gesagt: Es lesen niemals zwei Menschen denselben Text?

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