Die geschätzte Frau Trippmadam hat eine Episode aus der Schule geschildert: das allseits gefürchtete Vorsingen, dem man, je nach Talent und Einfallsreichtum, mit unterschiedlichen Strategien begegnete, aber kaum je ungeschoren davonkam. Auch im eigenen Erinnerungskeller schlummert eine Vorsing-Geschichte, gut abgehangen.
Die Geschichte beginnt mit dem Besuch des Hauchlobenthaler Kindergartens in der Klasse von Frau B.: So, liebe Kinder, werdet ihr es auch bald haben. Wir Kleinen saßen an den Wänden auf Turnbänken, und vor meinen staunenden Augen fand Musikunterricht statt.
Ein Frühlingslied wurde eingeübt. Der Text erschien an der Wand (Owerhettprojekter), Zeile für Zeile sang Frau B. vor, die Klasse sang im Chor nach, und wer von den Vorschülern wollte, durfte auch. So schön ist’s im Mai, ja, schön ist’s im Mai, so schön, schön ist’s im Mai! In Büschen und Hecken woll’n wir uns verstecken, wer sucht, eins, zwei, drei? So schön ist’s im Mai. Doofe Melodie, aber eingängig.
Na, wie war’s in der Schule, fragte man uns später, und: gut, sagten wir.
Ich kam als Schulkind tatsächlich in die Klasse von Frau B. Ich fand sie, wie alle Kinder ihre Lehrerinnen, nett und schön. Als wir dann irgendwann das Frühlingslied lernen sollten, jetzt im eigenen Unterricht und ganz im Ernst, rutschte mir fröhlich heraus: Ach, das kennen wir schon!
Was?, fragte Frau B. schmal, und ich begriff nicht ganz, was sie meinte. Das Lied, sagte ich. Das haben wir damals gelernt, und ich erklärte das mit dem Besuch der Kindergartenkinder. Nein, sagte Frau B., das Lied kannst du nicht. Doch, sagte ich, das haben wir damals gelernt. Ich schaute mich um, aber es schien sich niemand sonst zu erinnern.
Dann, sagte Frau B., und es klang gar nicht freundlich, sing es vor. Steh auf.
Trotzig stellte ich mich hin; alle drehten sich zu mir. So schön ist’s im Mai, fing ich an. Frau B. hatte die Stirn gerunzelt. Ja, schön ist’s im Mai. Meine Stimme klang komisch im totenstillen Klassenraum, und mir wurde sehr heiß. Ja, schön, schön ist’s im Mai. Irgendwas war hier ganz verkehrt. Frau B. starrte mich an. In Büschen und Hecken —
Ich hörte auf zu singen und setzte mich. Ich weiß es doch nicht mehr, log ich.
Na, siehst du, sagte Frau B. zufrieden, und auch das klang nicht freundlich.
Hier und da drehte sich noch verstohlen ein Kind nach mir um, aber das war’s, der Vorfall kam nicht wieder zur Sprache. Trotzdem fand ich danach meine Lehrerin nicht mehr ganz so hübsch, nicht mehr ganz so nett. Oh, ich hatte ein gutes Gedächtnis, und das behielt ich von da an für mich.