Nicht das Gendern ärgert mich, mich ärgert unhandliche, schwerfällige, häßliche Schriftsprache, die verhindert, daß Text das tut, was er soll: Information übermitteln. Am liebsten klar und unmißverständlich, gern auch griffig und schön. Ob es sinnvoll ist, in Schriftstücken alle explizit zu erwähnen, die sich gemeint fühlen sollen, weiß ich nicht (man denke das mal zuende); ob das Gendern letztlich etwas ändert* an den Geschlechterverhältnissen, bezweifle ich. Aber: probieren wir’s aus. Papier ist bekanntlich geduldig.
Hier stelle ich mögliche Lösungen (abseits von typographischen Regelungen, Partizipial- oder Nebensatzkonstruktionen) zur Diskussion:
Man könnte damit anfangen, immer explizit zu machen, wenn man eine männliche Rolle meint. “Der männliche Chirurg Klingelbrödter”, “der Sänger Peliwahn, ein Mann”, “eine Gruppe Feuerwehrleute männlichen Geschlechts”. Damit würde dem generischen Maskulinum Neutralität zugestanden.
Ich gebe aber zu, daß das, nunja, vielleicht ein bißchen arg subtil wäre. Und hilft nichts, wenn das generische Maskulinum an sich zum Anstoß genommen wird.
Man könnte ein generisches Femininum erfinden und anwenden.
Und jetzt mal genau lauschen, wer sich darüber beklagt und warum.
Modell DDR: Eine Verwandte erzählte, sie wäre in den Siebzigern gern Lehrer geworden, aber der Phoniatrieprofessor habe eine Stimmschwäche festgestellt. (Auch der Professor war eine Frau, und die hatte vor dem Studium Elektriker gelernt.) Rückblickend schilderte sie, wenn im Dienstplan ein Triebwerksingenieur angekündigt gewesen sei, sei der halt nicht automatisch männlichen Geschlechts gewesen. Verklärung des Rückblicks vielleicht; andererseits stimmt es, daß in der DDR Frauen Ingenieure, Bauarbeiter und Techniker wurden, als im Westen Berufe noch säuberlich aufgeteilt waren.
Schon klar, auch hier dürfte das generische Maskulinum empören; dennoch bzw. gerade deshalb ein bedenkenswertes Beispiel.
Männliche und weibliche Form abwechseln (meinetwegen streng: mwmwmw…). Damit wird’s beliebig, und wenn man sich konkret auf ein Geschlecht bezieht, muß man’s dazusagen. Mündlich handhabe ich das so, und es bewährt sich ganz gut; gelegentlich muß ich jedoch Erklärungen hinzufügen, wenn es wirklich ganz und gar nicht um Mann oder Weib geht.
Legt also vielleicht arg viel Fokus auf das Geschlecht; geschrieben könnte es nervig sein, bis man es schafft, drüberwegzulesen.
Lehrer, Ärzte, Ingenieure als neutral, als Sammelbegriff und auch für Einzelne verwenden, wenn man’s nicht weiß. (Wenn es Bürokaufmenschen oder Ombudsleute betrifft, muß man sich was überlegen.) Geht es um Frauen, hängt man ein -in an; geht es um Männer, ein -erich. “Alle Teilnehmer erhalten vom Pförtner einen Laufzettel, den sie beim zuständigen Krankenpflegerich Kröger vorlegen. Alle Laufzettel werden bei Sachbearbeiterin Sessenmann gesammelt und dienen als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Betreuer zugeteilt wird.” – “Wir stellen den Beichtlingen frei, ob sie eine Priesterin oder einen Priesterich aufsuchen wollen.” – Na, Sie ahnen, was ich meine, liebe Leseriche und Leserinnen. (Verschärfung: neutrale Form mit Neutrum-Artikel. Das Arzt, das General, das Kind, das Leser: “Die Manageriche versammeln sich zum Gruppenbild, das das Fotograf im Auftrag der Leiterin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit anfertigt.”)
Hätte den Vorteil, daß die neutrale Form die knappste wäre und daß nicht, wie Luise F. Pusch 2019 anmerkte, die weibliche Form auf ein Endungs-Anhängsel reduziert würde.
Phettbergs -y nimmt charmant sämtliche Geschlechtsinformationen aus Bezeichnungen. Damit gibt es Lesys, Kapitänys und Schornsteinfegys, und der Singular steht ganz natürlich im Neutrum: das Autory, das Arzty, das Kindergärtny.
Na gut. Für offizielle Schriftstücke ist das weniger geeignet. – Wobei …
Neutrale Formulierungen: Kräfte, Gruppen und Personal; es gibt Kinder, Leute, Menschen, Personen. Damit kommt man erstaunlich weit, auch wenn’s ein wenig mehr Arbeit macht, als einfach die weibliche Variante mit in den Text zu kleben.
Das ist die Lösung, für die ich plädiere, damit so was nicht passiert.
* (Schrift-)Sprachregelungen werden die Welt nur sehr begrenzt beeinflussen; letztlich bestimmt die erlebte und die vermittelte Welt, was wir uns vorstellen, wenn wir eine Bezeichnung hören. (Diese Prägung findet zunächst mal in den frühen Lebensphasen statt; aber zum Glück sind wir auch später noch lernfähig!) Kindertagesstätte, Altenpflege, Prostituierte: weiblich. Chefetage, Hooligans, Klerus: männlich. Das zu verändern ist eine Aufgabe für alle, und zwar über Generationen. Bilder, Filme, Fiktion, Reportagen können Prozesse in Gang setzen. Ansonsten gilt für die Sprache, was auch für die Gedanken gilt: die sind frei und machen am Ende, was sie wollen.
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Die letzte vorgeschlagene Lösung gefällt mir am besten, aber das Gendersternchen scheint mir halbwegs praktikabel und nicht allzu umständlich. In literarischen Texten (so ich noch einmal einen solchen schreiben sollte) sind mir Rhythmus und Melodie mindestens so wichtig wie der Inhalt; da steht dann die Gendergerechtigkeit hinter der Form zurück.
In literarischen Texten kann ich mir den Stern allerhöchstens als Stilmittel vorstellen. Persönlich mag und nutze ich ihn nicht und finde die Ergebnisse auch oft zum Weinen: “Wir stellen jeder*m Teilnehmer*in frei, sich seine*ihre Verpflegung vom*von der Köchin*Koch seiner*ihrer Wahl zubereiten zu lassen” (gut, da hätte das Korrektorat noch mal drüber gekonnt; aber das kostet halt auch). Dann die Frage nach der lauten Lesbarkeit (Stimmabsatz reicht nicht immer), die Frage nach der Maschinenlesbarkeit (wohl das geringste Problem) und die nach der Barrierefreiheit (ein deutlich größeres, wenn ich da allein an die Korrespondenz mit Impfzentren denke). – Ich bin gespannt, wie Texte in zehn Jahren aussehen.
Hat eigentlich mal jemand darüber geforscht, warum das mit dem Framing bei Person (f.) nicht klappt? Also stimmt das so nicht, daß feminines Genus femininen Sexus evoziert, oder? Und: Was für ein Bild haben Sie, wenn Sie das Wort Reinigungskraft hören? Welches, wenn Sie Führungskraft hören? Beide feminini generis.
Sehr gefällt mir Ihre Anmerkung zum generischen Femininum, und jetzt mal ganz genau lauschen … Harhar, ja genau.
Jetzt wollte ich grad schreiben, daß ich sehr wohl denke, daß Sprache auch Denken beeinflusst, und dann DAS – hat voll geklappt, das mit den “Kräften” *seufz* Und doch!!! Allein das bewußtmachen durch die veränderte Sprache wird verändern, denke ich!
Meine Lösungsversuche:
Ich mag zwar nicht den Phettberg, wohl aber seine -y-Lösung und habe die auch schon öfter verwendet, allerdings nur, wenn ich mit den neutralen Lösungen nicht weiterkomme. Versuche, mich dran zu gewöhnen, ansonsten gibts das Binnen-I
MÜNDLICH allerdings bleibt für mich bisher alles beim alten, denn ich möchte flüssig sprechen können. Das muß von selbst kommen, nicht angestrengt angelernt.
“Nicht angestrengt”, das unterschreibe ich! (Und, wenn das menschenmöglich ist, ohne Shitstorms.) Wie gesagt, ich glaube, die Sprache zu verändern, ist das Pferd von hinten aufzuzäumen; aber auf irgendeine Weise muß es zu machen sein, daß die Hälfte der Menschen wirklich mitgemeint ist.
Ich habe vor Jahrzehnten mit Vergnügen Luise F. Pusch gelesen. Sie pestete Ämter, sie fühle sich von Formularen, die sich an “den Steuerzahler” richteten, nicht angesprochen. Antwort: da seien Frauen mitgemeint. Sie verwies dann auf Stellen im Formular, wo vom “Steuerzahler und seiner Gattin” die Rede war. – Ich finde, da sind wir schon weiter. Daß Frauen Steuern zahlen, ist nix Besonderes mehr. .)
Antwort auf Lakritze, das geht leider anders nicht:) ….und doch
– ist es offenbar so selbstverständlich, daß der Rückzahlungsbetrag bei zwei zusammen veranlagten Steuerzahlys aufs Männerkonto geht, daß ich seit DREI Jahren versuche, das Finanzamt dazu zu bringen, die Zahlung auf MEIN Konto doch bitte auch mit MEINEM (übrigens korrekt auf dem Formular angegebenen) Namen zu versehen, da sonst die bank jedesmal Alarm schlägt
– gehen Handwerky-Angebote regelmäßig an HERRN *meinNachname* auch wenn die Handwerkys vorher mit MIR gesprochen haben
uswusw
Neinnein, nach wie vor gibt es da keine gleichgestellte Normalität!
O-ha! Nun könnte man behaupten, ja, Handwerk, notorische Männerdomäne, aber das wäre ein billiges Klischee … Vielleicht mal die Rechnung nicht bezahlen, bis sie korrekt adressiert wird? (Vermutlich würden sie sagen, “das steht so im System”, und das wäre dann wieder eine ziemlich genaue Problembeschreibung.)