Erzähl mir eine Geschichte!

Das Kind war etwa zwei Jahre alt. Wo andere Kinder ein Stofftier haben, schleppte dieses wechselnde Bücher mit sich herum. Wann immer es brenzlig wurde – müde, Streß, blöder Tag –, da jammerte es: Mein Buch, mein Buch! Nur eine Geschichte aus dem Buch machte alles wieder gut.

Einmal waren wir auf dem Spielplatz, da trat das Unglück ein: das Kind war hingefallen, die Mutter hatte es abgestaubt, auf eine Bank gesetzt und wollte nun das Buch aus der Tasche ziehen, da war es nicht da. Vergessen. Kein Buch. Die Tränen begannen zu fließen, der Jammer türmte sich. Ich laufe, sagte die Mutter, schnell eins kaufen, paßt du solange auf?, und schon stürzte sie davon.

Ich setzte mich neben das haltlos weinende Kind auf die Bank und begann, in meinem Rucksack zu kramen. Ah, da ist es ja. Als ich mit großer Sorgfalt und beiden Händen – nichts hervorholte, wurde das Schluchzen leiser. Hier ist mein unsichtbares Buch. Komm, ich lese dir eine Geschichte vor.

Ich blätterte, guckte ins Inhaltsverzeichnis und entschied mich für eine Geschichte. Das Kind folgte fasziniert meinem Finger, hörte sich die Geschichte an, betrachtete die Illustrationen, und als ich das Buch zuklappte und wieder im Rucksack verstaute, waren die Tränen vergessen. Oder, fragte ich, soll ich es dir schenken?

Da grinste das Kind ein kleines bißchen: Brauchst du nicht. Ich habe zuhause ganz genau so eins.

(Die Mutter kam kurz darauf wieder mit einem Notkauf. Stellte sich heraus, auch dieses Buch hatte das Kind schon im Regal stehen.)

 

Ob die Tage uns herumscheuchen oder langweilen, ob sie voller Furcht und Ungewißheit sind oder einfach nur öde – es geht nichts über eine gute Geschichte. Sei es eine vertraute, die wie eine Decke wärmt, oder eine unerhörte, eine Reise ins Ganzwoanders. Grundlegend ändern kann sie ja meist nichts, aber sie kann uns ein paar Minuten oder auch Stunden davontragen.

Sollten wir uns nicht Geschichten erzählen?

Logo erzähl mir eine Geschichte
Falls mir wer eine Geschichte erzählen mag: hier ist ein Bildchen zum Dranhängen.

P.S.:
Eine Geschichte über Mut von Frau liuea. Hohe Politik ist beteiligt, und Gewand. (leider nicht mehr vorhanden)

Fjonkas Geschichte übers Zaubern und Zaubernlassen mit grünem Koffer und hingerissenem Publikum.

Von Christiane: von alten Wölfen und neuer Wolle.

Hexen haben rote Haare, so heißt es auch in der Geschichte vom Herrn Solminore.

Unheimlich ist die Verabredung bei Frau Geschichtenundmeer.

Die Pest auf Ägina, Ovid in einer Versübersetzung von Herrn Solminore:
Teil 2, 3, 4, 5, 6

Daß ich keine Zimmerpflanzen habe, hat Gründe.

Drüben bei SoSo: Badegedanken ohne Handtuch. (Und ein Schreibspiel zum Mitspielen.)

In Karus Wald gibt es unvermutet Mitbewohner …

Und nochmal Herr Solminore mit der Geschichte einer neuen Freiheit und einem anderen Leben.

0 thoughts on “Erzähl mir eine Geschichte!

  1. Es war einmal ein alter, einsamer Wolf, der lebte im finstersten Wald oberhalb eines Sees. Er sass tagein, tagaus auf dem gleichen dicken Stein und machte sich so seine Gedanken über das Leben. Er erinnerte sich an seine Zeit als kleines Wölfchen, an seine Zeit als starker, furchtloser heranwachsender Wolf, an seine Glanzzeit als Anführer wo er glaubte er könnte das ganze Zusammenleben im Wald verändern, Er dachte auch darüber nach wie es wohl mit so einem alten, kraftlosen Wolf weitergehen wird.
    Jeden Morgen fand er um den Stein herum graue Haarbüschel, jeden Morgen schmerzten ihm die Beine, die Pfoten und der Rücken….er war müde, so unendlich müde.
    Eines Tages aber als er so vor sich hin döste, stand da ein kleines Mädchen mit einem Korb in der Hand und sprach ihn an. Zuerst dachte der alte Wolf er würde träumen, aber nein die Stimme gab es wirklich!
    Als der alte Wolf das Mädchen fragte ob ihre Oma ihr nicht verboten hätte mit Wölfen zu reden, lachte dieses fröhlich und erklärte dem Wolf, sie würde eigentlich sehr selten gehorchen und sich lieber selbst ein Bild von der Welt machen als so alte Geschichten zu glauben. Dies gefiel dem Wolf, in dieser Aussage erkannte er sich wieder!
    Das Mädchen mit der lustigen, farbig gestreiften Mütze setzte sich neben den Wolf, dieser war nämlich auf seinem Stein ein Stückchen zur Seite gerutscht. Der Wolf sprach kein Wort, er sass einfach da und genoss diese ungewohnte Gesellschaft. Dabei strich er sich mit der Pfote über die schmerzenden Knie und Beine und schon wieder flogen Fellbüschel durch die Luft. Der alte Wolf seufzte, das kleine Mädchen wurde neugierig und fragte ob ihm nicht kalt wäre so fast ohne Fell an den Beinen. Nein, kalt wäre ihm eigentlich nicht, aber er möge seine alten nackten Beine und Füsse so nicht ansehen, es würde ihn sehr traurig stimmen da dies ein deutliches Zeichen seines Alters wäre. Der Wolf verfiel wieder ins große Schweigen….das kleine Mädchen aber streichelte dem Wolf fast zufällig mit der Hand über die nackten Stellen am Bein, da liefen dicke Tränen über das graue Gesicht des Wolfes.
    Das Mädchen öffnete seinen Korb, nahm einen herrlich duftenden Marmorkuchen heraus, brach ein großes Stück ab und hielt es dem Wolf hin. Etwas misstrauisch schnupperte er zuerst daran und aß es dann mit lautem Schmatzen. Beide wechselten kein Wort, sie verstanden sich auch so.
    Nachdem der Wolf den ganzen Kuchen aufgefressen hatte, nahm das Mädchen einige farbige Knäuel und Stricknadeln aus dem Korb und fing an zu stricken, dabei summte sie ganz zufrieden vor sich hin. Der Wolf verstand überhaupt nicht was das Kind da tat, es war ihm aber auch egal, Hauptsache es blieb ganz dicht neben ihm sitzen. Die Sonne ging unter, beide schliefen ein wenig zusammengerückt auf dem Waldboden und am nächsten Morgen als der Wolf wach wurde strickte das Mädchen schon wieder fleißig. Als die Sonne hoch oben am Himmel stand, packte das Mädchen die Wolle und die Stricknadeln ein und hielt dem Wolf etwas Farbiges hin. Der Wolf verstand nicht was das wohl war, das Kind aber zog dem Wolf die farbigen Dinger über die Pfoten und Beine. Dem Wolf gefielen dies warmen, lustig gemusterten, neuen Beine und er schmunzelte. So sagte das Mädchen “ich muss jetzt weiter, tut mir leid” und es ging seinen Weg weiter. Der Wolf aber befühlte zuerst die komischen Dinger an seinen Beinen, dann wurde er neugierig, er wollte mal sehen wie er jetzt wohl so aussah und der Wolf ging hinunter zum See….

    dem Wolf tat diese liebe verständnisvolle Begegnung so gut, er fühlt sich um Jahre jünger!

    Ich stricke sehr viel, auch einen grauen Schal wo die Anleitung ” Wolfgangsee” hieß, während dem Stricken dann erfand ich diese Geschichte

    1. Danke für die Geschichte! Wolf mit Socken gefällt mir sehr. Socken sowieso. .)
      (Stricken ist toll in diesen Tagen – ich häkele, immerhin, aber Stricken will ich jetzt lernen.)

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