Theatrum mundi

Ich gehe da hin, wenn ich es nur irgend kann: Die Aufführungen der Bühnen Dautenheims im hügeligen Rheinhessen sind nicht nur wegen des Ortes etwas sehr Besonderes.

Dieses Jahr gibt es das Große Welttheater des Pedro Calderón de la Barca (1600–1681), ein Stück des barocken Ideentheaters, und es geht um, nun ja, alles: Was ist der Mensch, wo ist sein Platz, wieso geschieht, was geschieht, und was kommt danach? Der Schöpfer gibt seine Bestellung bei der Welt auf, und die führt dann mit den Menschen, die sie nun gerade zur Verfügung hat, die große Allegorie aufs Leben auf. Die geschliffenen Texte Calderóns in der Übersetzung Eichendorffs werden begleitet von kleinen Musikensembles; die Nacht legt sich langsam über die Spielstätte; es ist ein ganz bezauberndes Spektakel.

Das ist dieses Jahr aber noch lange nicht alles. Dieses Jahr ist das Theater auf Tournee. Die Bühne, ein Aufbau auf zwei schönen alten Erntewagen, wird ein ordentliches Stück durch Rheinhessen gezogen und macht an fünf Spielorten halt.

Den Einzug des Theaters sollte man nicht verpassen. Ich habe ihn in Alzey auf dem zentralen Roßmarkt erlebt: Es rumpelt und klirrt, der Boden bebt, das Publikum hält den Atem an, zwei mächtige dunkle Kaltblutpferde ziehen das Gespann auf den Platz – ein standesgemäßer Auftritt für eine barocke Schauspieltruppe, ein angemessener für den Kosmos. Die Pferde werden weggebracht, die Bühne fertig aufgebaut, und dann entfaltet sich das Stück.

Kostet nichts, Wein ist leicht zu bekommen, Sitzgelegenheiten selbst mitzubringen, und – Profi-Tip – dicht an der Bühne hört man besser. (Für Fern-Zuschauer hält das Theater einen Stapel Reclam-Hefte zum Mitlesen bereit, gegen Spende erhältlich.)

Energie und Liebe zum Detail stecken in dieser Produktion, in der Profis und Laien zusammenarbeiten. Im Hintergrund wirkt die ganze Familie Storr daran mit, daß das Drumherum reibungslos vonstatten geht, und ehrlich, es ist ein kleines Wunder, was da aus einem 500-Seelen-Dorf so alles kommt.

(Mit den öffentlichen Spielorten nimmt das Theater in Kauf, daß nicht nur Theaterinteressierte am Platz sind; auch Stänkerer und Ignoranten gehören wohl dazu zum Welttheater. In Alzey haben sich ein paar gründlich danebenbenommen. Daß es ihnen nicht gelungen ist, der Truppe die Aufführung zu verderben, spricht für die gute Stimmung vor Ort.)

 

Freilichtaufführungen Das große Welttheater von Calderón
Heute in Gau-Bickelheim, morgen und übermorgen in Mainz, jeweils 20:30 – ein wunderbares Sommerabend-Spektakel. Hingehen!

0 thoughts on “Theatrum mundi

  1. Stellen Sie sich vor, wie gut Calderón de la Barca sein muss, dass wir ihn in der Schule lesen mussten und er mir dennoch nicht verleidet werden konnte. Ich freue mich, dass er auf Deutsch aufgeführt wird, auch wenn es für mich zu weit vom Schuss ist und ich freue mich erst Recht, dass er Ihnen gefallen hat. 🙂 La vida es sueño (dt: das Leben ein Traum) ist auch zauberhalft.
    Im ähnlichen Duktus und aus der selben Zeit, aber nicht als Theaterstück, sondern als Buch um alleine gelesen zu werden, kann ich Baltasar Graciáns Handorakel und Kunst der Weltklugheit empfehlen. Soll Schopenhauer beeinflusst haben – wer weiss? würde passen. Klassiker halt.

    1. Ah — danke! Das ist gut; ich weiß herzlich wenig von Calderón und habe mir jetzt die Eichendorff-Übersetzung des Welttheaters gekauft (Bonus: beim Welttheater). Ich mag barockes Theater, und fahrende Schauspieler habe ich schon wegen der Compagnia buffa lieb, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Schreibe einen Kommentar zu Lakritze Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert