Der Mensch hat keine Räder

Es hätte nicht gleich ein Totalschaden sein müssen — ein Jammer: das Auto ist hin. Zu Schaden kam nur Blech, ich hatte den nettesten Unfallgegner der Welt und auch sonst Glück im Unglück, aber das Auto — es steht mit hängendem linkem Auge auf dem Werkstatthof beim Schrott, mit zweifelhafter, sehr zweifelhafter Zukunft. (Rumänien vielleicht, sagt der Werkstattmann. Höchstens.)
Nun räume ich, als das geklärt ist, meine Habseligkeiten aus dem Wagen — der beste, den ich je gefahren bin — und verfüge mich mit meinem Rucksack Richtung Bushaltestelle. (Ach. So unnötig. Hätte ich’s lieber verschenkt.)
Auf dem Heimweg mit dem Überlandbus zieht die Landschaft an mir vorbei. Felder in der Sonnenglut, Dorf um Dorf; schön hier. Könnte man mal einen Ausflug machen.
In meiner Straße, die Reflexe sitzen noch: oh! Ein Parkplatz, direkt vorm Haus –! Ach, nee, nicht mehr nötig. Der Schlüsselbund ist beim Öffnen der Haustür ungewohnt leicht.
Beim Kaffee zähle ich dann zusammen: Nie wieder Abgasplaketten, Tüv, Anwohnerparkausweis. Steuern, Versicherung, jede Tankfüllung um die 70 Euro — nicht mehr nötig. Keine Reparaturen, keine Inspektion, keine Winter- und Sommerreifen. Kein Warten in Werkstätten. Keine Parkplatzsuche. Kein Knöllchen, und auch die paar Mal, wo die Polizei vor der Tür stand — jemand hat Ihr Auto angeschrammt — Vergangenheit. Hagel? Baustellen? Feste und Demonstrationen in der Stadt? Mirdochegal.
Ich atme auf.
Viele, denen ich auf ihre mitfühlenden Fragen antworte: nein, kein neues Auto, reagieren mit hochgezogenen Brauen: Wirklich nicht?
Wirklich nicht. Ich wohne in der Innenstadt. Ich mache meine Einkäufe zu Fuß und mit dem Rucksack — ich trinke Leitungswasser (am liebsten, übrigens) und muß also keine Getränke schleppen. Ich erreiche Bus und Bahn in wenigen Minuten. Für dringende, ausnahmsweise und anders nicht zu bewältigende Fälle habe ich mich beim Carsharing angemeldet; so bekäme ich sogar einen Transporter, wenn ich einen bräuchte. Ich könnte vielleicht ein Fahrrad anschaffen …
Ich schaue an mir herab: Anders als es der Lebensstil von Tempo und Flexibilität postuliert, habe ich keine Räder. Ich fühle mich befreit.

0 thoughts on “Der Mensch hat keine Räder

  1. Diesen Entschluss habe ich auch schon mal getroffen (ohne vorhergehenden Unfall) und hatte fast zwei Jahre kein Auto – da habe ich dann eins gewonnen, so quasi als Belohnung oder als Strafe für meinen Entschluss.

    1. Haha! Dann bist Du der erste Mensch, den ich kenne, der tatsächlich ein Auto gewonnen hat. (Herr L. hat anno dunnemals sein Auto abgeschafft, als es vom langen Rumstehen nicht mehr ansprang.)

    1. Das glaube ich auch! .)
      Wie schriebst Du mal: Klotz am Bein. So fühlt sich das mit Auto an. Ohne — viel besser! Ich staune allerdings, wie viele Leute zu glauben scheinen, ohne Auto könne man nicht leben. Daß mir der Mann vom Autohaus eins verkaufen will, verstehe ich ja, aber ansonsten liegen die Vorteile doch auf der Hand?

  2. Wie oft habe ich das auch schon angedacht – und dennoch nicht in die Tat umgesetzt. Die Ausrede, damit meine alte Mutter fahren zu können, hat sich inzwischen auch erübrigt, weil ich sie nicht mehr allein in das Auto bekäme oder aus dem Auto heraus.
    Kinder- und Enkeltransport?!? – Die sind inzwischen so groß, dass sie auch mit Bus und Bahn fahren könnten.
    Also – reine Bequemlichkeit oder Anhänglichkeit. Um meinen 13jährigen Clio, den ich 11 Jahre hatte, trauere ich immer noch. Der jetzige Twingo hat eine Autonummer, die ganz eng mit meinem Schicksal verbunden ist. – Klar, ich könnte mir ja das bloße Schild in die Wohnung hängen. – Ich arbeite daran – auch bei mir wäre das Auto das erste, was ich abschaffen würde, könnte ich es finanziell nicht mehr schaffen.
    Vielleicht muss gar nicht erst ein Totalschaden auftreten.
    Danke für den Gedankenanstoß.

    1. Gern geschehen. .) Das mit der Anhänglichkeit kenne ich — ich hatte mal einen Käfer …
      So viel bequemer finde ich Autofahren gar nicht. Zwar ist man nicht an Fahrpläne gebunden, aber ich zumindest bin nach dem Stadtverkehr fix und fertig. Im Bus lese oder schlafe ich einfach.

      1. Ich benutze mein Auto tagsüer so gut wie gar nicht, da ich das 65+Ticket habe, für Berlin und ganz Brandenburg. Aber spät in der Nacht sind die Straßen frei und die Zeiteinsparung doch gewaltig. – Und Urlaubsfahrten sind (eingebildet) mit Auto auch bequemer – zumindest nach den Erfahrungen, die ich mit der Bahn gemacht habe – monatelang vorbuchen den einen Zug, den man dann um nichts in der Welt verpassen darf.

    2. Mhm, das mit dem Vorbuchen beim Zug finde ich so nervtötend, daß ich mit einer 50er-B*hnc*rd ohne Zugbindung unterwegs bin. Das ist mir die Streßersparnis wert. .)

    1. Oh, ich auch. Danke! (Das Schlimmste wäre gewesen, einem anderen Menschen Schaden zuzufügen … Oweh.)
      Und in das blöde Gefühl, das so ein Unfall halt nach sich zieht, mischt sich die Erleichterung langsam, aber stetig. .)

  3. Ui, das mit dem Unfall ist natürlich schlimm, aber wie Soso schon meinte, ich bin auch froh, dass dir nix passiert ist. Und CarSharing ist prima! Wir machen das schon viele, viele Jahre. Es ist wesentlich günstiger, da man ja das Benzin nicht zahlt. Selbst für Urlaube (z. B. letzten Herbst in die Normandie) ist es sehr praktisch und keinesfalls zu teuer. Neulich las ich, dass junge Leute nicht mehr automatisch ein Auto zu den “Statussymbolen” zählen. Es hat also ein Umdenken stattgefunden, das finde ich sehr erfreulich. Wenn man natürlich sehr abseits wohnt, geht es ohne Auto nicht. Aber überall, wo der ÖV gut ausgebaut ist, ist das kein Problem : )

    1. Danke, Petra! Carsharing plus Öffentliche sind in der Stadt mit Sicherheit eine gute Sache. Wenn ich mir bloß überlege, wieviel Zeit ich mit Parkplatzsuche verdaddelt habe –! Und wieviel Platz man für andere gute Dinge hätte, wenn die Parkplätze leer wären. .)
      (Ich wende mich bestimmt noch mal vertrauensvoll an Dich, wenn’s um Fernreisen geht — das habe ich nämlich noch nicht genau überlegt.)

  4. Ohne Auto könnt ich schon leben, auch betrachte ich mein kleines Auto nicht als Statussymbol. Trotzdem genieße ich es, eins zu besitzen, zu fahren, wann und wohin ich will.Bin mir bewußt, dass es ein teures Hobby ist. Und morgen geht’s damit nach Südtirol. Und Tschüß!

    1. Das ist vermutlich noch mal etwas anderes — wenn man gern fährt. Das habe ich nie getan; ich bin immer froh, wenn ich mich chauffieren lassen kann, auch von der Bahn. Jedenfalls: prächtige Ferien Euch!

  5. Die Hauptsache ist, dass Dir nichts passiert ist.
    Derzeit arbeite ich mitten in der Stadt u nutze vor allem die S-Bahn für das tägliche Hin- u Her. Das Auto nutzt Herr R., um ca. 50 km zur Arbeit zu fahren. Zwar gibt es auch dorthin eine Bahnverbindung, aber die große Unzuverlässigkeit hat das Auto doch nach vorne gebracht, zumal Herr R. dreimal in der Woche pünktlich zu einem lebenswichtigen Fünf-Stunden-Termin muss.
    Und für Urlaubsreisen, bei denen der Weg das Ziel ist, wo auch mal “lange Fädchen” und die eine oder andere Weinkiste auf der Rückfahrt dabei sind, ist das Auto schon praktisch. Dafür verzichten wir auf’s Fliegen, nur ab und zu beruflich tue ich es…

    1. Oh, 50 km Arbeitsweg … Das ist der letzte Luxus unserer Zeit: zur Arbeit laufen können. (Und bei lebenswichtigen Terminen stehen Hilfsmittel sowieso außer Frage.)
      Urlaub: am liebsten zu Fuß; aber ich gebe zu und sehe ein, daß das nicht für alle was ist. (Allen voran Herrn L. .))

  6. Ich mache das ja nun schon seit fast zwei Jahren und kenne beides. die Erleichterung und das Vermissen. jetzt im Sommer hätt’ ich schon gern manchmal eines, für Ausflüge nach Brandenburg, die mir so zu mühsam zu organisieren sind. Ich bin immer noch froh, nicht mehr die meisten Wege damit zurücklegen zu können – und würde doch Besserung geloben, wenn ichs wieder dürfte. Aber im Endeffekt ist es mir dann doch zu schade ums Geld und es bleibt bei Bahn und Fahrrad.

    1. Du wohnst nun auch in einer Stadt, die — trotz zumindest theoretisch guter Öffentlicher — schon wieder groß genug ist für ein Auto. Hier wäre es einfach absurd. Ich bin gespannt, wann ich an die Grenzen des Konzepts stoße.

  7. Auch bei mir wechseln sich verschiedene Mobilitätsphasen ab – momentan ist das Automobil leider unersetzlich, aus beruflichen Gründen. Doch dass wir nachts zwei Blechkisten auf dem Hof stehen haben, ist ein unterträglicher Zustand. Daran ändert sich bald etwas und ich werde nichts vermissen.
    In Deiner Stadt ist ein Auto tatsächlich überhaupt nicht wichtig. Mir fallen beispielsweise auf Anhieb ein Dutzend Winzer ein, die mit Rad, Bus oder Bahn in weniger als einer halben Stunde erreichbar sind…

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