30 bunte Tassen — die elfte

In meinem Fachbereich gab es die übliche Fachbereichsbibliothek. Diese hatte aber noch eine Fachbereichssonderbibliothek, in einem Extra-Räumchen und mit auserlesenen Öffnungszeiten. Über die Sonderbibliothek regierte sie. Ich weiß nicht, wie sie hieß, aber sie fiel auf: zwischen Fünfzig und Sechzig, hochgewachsen und knochig; ihr ergrauender Zopf war streng geflochten, ihre Brille riesengroß und ihr Pullover selbstgestrickt.

Oft sah man sie in der Stadt, wo sie mit ihrem Gefährten zusammen (beide trugen Wolle und hatten immer geräumige Stofftaschen bei sich) eines der Studentencafés aufsuchte. Dort saßen sie dann bei einem Bier und einem Tee, in getrennte Bücher vertieft oder auch einfach so ohne ein Wort nebeneinander, stundenlang.

In der Bibliothek trank sie ihren Tee aus immer derselben braunen Kanne und einer zierlichen Tasse ohne Untertasse. Sie war wortkarg, aber meist nicht unfreundlich; ihre Gegenwart lud einfach zum Schweigen ein. Es war ein bißchen wie einen seltenen, scheuen Großvogel beobachten — man vermied es, sich bemerkbar zu machen; nicht daß er am Ende davonstakste.

Dann kam die Reform des Studienganges. Im Zuge von Sparmaßnahmen wurden Stellen gestrichen, kleine Räume zu großen zusammengelegt — und die Sonderbibliothek geschlossen. Sobald wir davon erfuhren, hatte ihre Erscheinung in unseren Augen etwas besonders Eckiges, fast Beleidigtes.

Als dann die Regale, Tische und Stühle aus der Bibliothek entfernt wurden, sah ich sie zum letzten Mal im Fachbereich. Am nächsten Morgen fanden wir vor dem ausgeweideten Raum ihre Tasse und das Kännchen. Den ganzen Tag standen sie da, auf den ausrangierten Büromöbeln, sauber abgewaschen, und alle konnten sie sehen. Jaja, die Sparmaßnahmen, raunten wir uns zu.

Abends dann habe ich beide, Kanne und Tasse, an mich genommen.

Kännchen und Tasse.
Teekanne und Tasse.

30 bunte Tassen — zehn mit Tee

Tee im Café
Tee im Café

Eigentlich kann man nur in Cafés richtig zur Ruhe kommen. Zuhause ist immer irgendwas: unerledigte Aufgaben, die Spülmaschine, das Telefon; oder es fehlt Milch. Im Café hingegen wird mir alles, was ich zum Überleben brauche, an den Tisch gebracht. Und dann sitze ich zwischen anderen Menschen, die auch vor allem ihre Ruhe wollen, und bin nicht zu sprechen; für ein paar Atemzüge oder Stunden abgekoppelt und ausgeklinkt. Das koste ich aus. Bis zum letzten Schluck. — Kann ich dann bitte zahlen?

30 bunte Tassen — acht

Hauchdünn und transparent ...
Sonne hinter Glas hinter Porzellan

Es ist schön, so zart und durchsichtig. Porzellan. Ich habe noch nie schwarzen Kaffee hineingegossen.

Wie die Keramikerin heißt, weiß ich nicht mehr. Die Designerin heißt Johanna Hitzler; das Gefäß hat mir eine liebe Freundin geschenkt — mit dem Hinweis, daß man es leider nicht anfassen könne.

Es stimmt. Dieses Bisquitporzellan fühlt sich an wie Sandpapier. Ich muß dabei immer an Fingernägel auf Tafeloberflächen denken.

Aber es sieht wirklich schön, einfach wunderschön aus.

Das Zeichen der Keramikerin.
Das Zeichen der Designerin.